1740 - Und er lebt doch!
Dass sein Informant gelogen haben könnte, daran glaubte Samatkin nicht. Also hatte er sich auf den Weg zum Friedhof gemacht. In der Dämmerung war er an seinem Ziel angekommen, und nun musste er nur noch das Grab finden.
Es war nicht einfach, denn der Friedhof war für ihn Neuland. Er musste sich erst mal einen Überblick verschaffen, was nicht leicht war, denn dieses Gelände, das etwas außerhalb der Stadt lag, machte nicht eben einen gepflegten Eindruck. Man hatte die Büsche und Sträucher wuchern lassen, die alten Grabsteine waren nicht mehr gepflegt worden, die Wege so gut wie zugewachsen, und so war der Mann froh, eine Lampe bei sich zu haben. Er hielt den Schein nach unten gerichtet, damit er wenigstens hin und wieder sah, wo er hinzugehen hatte.
Wenn er in die Runde leuchtete, dann huschte der Kegel nur dann über Grabsteine hinweg, wenn sie der wild wuchernden Natur getrotzt hatten. Da sah er dann die alten Erinnerungen, die zum großen Teil verwittert waren, dabei starke Risse zeigten oder von einer Schicht Moos bedeckt wurden.
Die Dämmerung verlor den Kampf gegen die Dunkelheit. Es war schon recht spät, aber hier in St. Petersburg gab es die Weißen Nächte, die lagen zwar einige Wochen zurück, doch auch im August waren die Tage noch recht lang.
Rudy Samatkin musste plötzlich lachen. Es gab eigentlich keinen Grund. Es sei denn, er hing seinen Gedanken nach, in denen sich ein Satz hervorkristallisiert hatte.
Wer sucht, der findet.
Und er wollte oder musste finden. Er hatte eine bestimmte Richtung eingeschlagen. Ob sie stimmte, wusste er nicht. Aber seine Aufgabe war wichtig. Wenn das alles der Wahrheit entsprach, was man ihm gesagt hatte, dann war er bald derjenige, der die Welt verändern konnte. Dann wäre seine Botschaft phänomenal gewesen und hätte die Menschen aufhorchen lassen.
Es gab ihn.
Es sollte oder musste ihn geben. Den Mann oder die Gestalt, die in Russland so bekannt war. Noch immer, obwohl ihr Tod fast einhundert Jahre zurücklag.
Rasputin!
Allein beim Gedanken an ihn verspürten viele Menschen einen Schauer. Dieser Arzt, Magier und Mystiker am Hof des letzten Zaren war noch immer nicht vergessen. Man sprach und man schrieb über ihn. Er war derjenige, der noch heute verehrt wurde, über den man Geschichten und kleine Histörchen erzählte und den nicht wenige Menschen verehrten.
Er war tot.
Nein, er lebte.
Die einen waren von seinem Tod überzeugt, andere waren es nicht, und in der letzten Zeit verdichteten sich die Gerüchte, dass dieser Mensch noch am Leben war.
Für Rudy Samatkin war diese Meldung brisant. Oft genug hatte er darüber nachgedacht, ob er sie weiterleiten sollte. Er hatte es nicht getan, er wollte Gewissheit haben. So hatte er seine Beziehungen spielen lassen und sogar Erfolg gehabt, denn eine Frau hatte mit ihm Kontakt aufgenommen und ihn zu diesem alten Friedhof bestellt. Hier sollte er mehr über Rasputin erfahren.
Treffen auf Friedhöfen zu einer nachtschlafenden Zeit waren ihm immer verdächtig. Er war also auf der Hut. Aber er dachte an seinen Job. Wenn es tatsächlich zutraf, dass dieser Rasputin noch lebte – wie auch immer –, dann war er derjenige, der mit dieser Information einiges anfangen konnte.
Samatkin hatte zahlreiche Kontakte. Er arbeitete für mehrere Firmen, wie er immer sagte. Er war jemand, der Informationen verkaufte. Er war so etwas wie ein Händler, und das gefiel ihm. Sich auf keinen Arbeitgeber festlegen, alles erst mal abchecken und sich selbst als Weltenbürger bezeichnen.
Oder staatenlos, wobei das nicht stimmte. Seine Mutter war Schottin, sein Vater Russe. So konnte er auf beiden Hochzeiten tanzen, was er auch tat. Er bot seine Dienste den verschiedenen Organisationen an, und er war auch in diesem Fall schon tätig gewesen, obwohl noch kein klares Ergebnis vorlag.
Samatkin hatte seine Fühler nach London ausgestreckt. Dorthin hatte er gute Beziehungen, geschäftliche, keine privaten, aber er war immerhin auf eine bestimmte Art und Weise abgesichert.
Jedenfalls war diese Nacht für ihn ungeheuer wichtig, sie konnte ihn reich machen, denn für bestimmte Informationen zahlten die Dienste gern große Summen. Zudem hatte Samatkin den Vorteil, sie gegenseitig auszuspielen. Er nahm denjenigen, der am meisten zahlte, um seine Informationen loszuwerden.
In der letzten Zeit hatte er sich intensiv darum gekümmert, immer wieder Kontakte erneuert und Fragen gestellt. Es war gut gewesen, denn jetzt endlich hatte sich jemand
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