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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Grenzen nicht verkennen, die dieser Freiheit gesetzt sind. Niemand bestimmt das Datum und den Ort seiner Geburt selbst. Keiner verfügt darüber, welche Begabungen ihm in die Wiege gelegt wurden und welche Schwächen ihn ein Leben lang begleiten. Kein Mensch kann die Veränderungen seines Lebens allein bestimmen: beispielsweise die Friedliche Revolution von 1989, die auf die Lebensbedingungen in Europa einen tief greifenden Einfluss hatte, die Gesundheit, die dem einen vergönnt und beim anderen eingeschränkt ist, den Arbeitsplatz, der trotz wirtschaftlicher Krisen Bestand hat – oder eben nicht –, die Partnerschaft mit einem vertrauten Menschen, die sich als dauerhaft erweist – oder zerbricht.
    Ist Freiheit eine Illusion? Diese Frage wird seit der griechischen Antike bis hin zu den modernen Neurowissenschaften immer wieder gestellt. Freiheit ist in der Tat eine Illusion, wenn sie als absolute Freiheit verstanden wird; eine Illusion ist sie auch dann, wenn man meint, sie von den leiblichen Bedingungen des Lebens lösen zu können. Dass Menschen nur aus einer begrenzten Zahl von Optionen wählen können, hängt damit zusammen, dass sie an Raum und Zeit gebundene Wesen sind. Jeder Mensch kann von seiner Freiheit nur im Rahmen einesbegrenzten Freiheitsspielraums Gebrauch machen. Die persönlichen Fähigkeiten sind genauso beschränkt wie die Gelegenheiten und Mittel zum Gebrauch der eigenen Freiheit. Bestimmte Möglichkeiten zu ergreifen bedeutet stets, auf andere zu verzichten.
    Dass die menschliche Freiheit begrenzt ist, hat nicht nur mit Ort und Zeit des individuellen Lebens oder mit persönlichen Begabungen und Chancen zu tun. Vor allem anderen ergibt sich diese Begrenzung aus der Endlichkeit des menschlichen Lebens und aus den Verkehrungen, in die sich Menschen durch ihr Handeln und Unterlassen immer wieder verstricken. Die Selbstursächlichkeit, die wir uns vom Gebrauch unserer Freiheit erhoffen, ist immer auch mit Selbstverfehlung verbunden. «Wirkliche Freiheit gibt es auf Erden nur zusammen mit Schuld.» (Theunissen 2002: 346) Indem wir handeln, also «an etwas schuld sind», müssen wir damit rechnen, dass wir durch dieses Handeln auch an Personen schuldig werden. In dieser Erfahrung tritt uns vor Augen, was grundlegend das Gottesverhältnis des Menschen prägt. Vor Gott kann sich kein Mensch der Bedingtheit seiner Freiheit entziehen. Gott gegenüber nimmt der Mensch sich als ein Empfangender wahr; zur inhaltlichen Bestimmung der Freiheit gehört die Dankbarkeit dafür, dass er Leben und Freiheit als Gaben Gottes empfängt. In dieser Dankbarkeit macht er sich ausdrücklich bewusst, dass sein Leben endlich ist und seine Freiheit bedingt. Diese Dankbarkeit bildet die Grundlage für den Gebrauch seiner Freiheit (vgl. Huber, Freiheit 2012: 96ff.).
    Wenn die Gabe der Freiheit den Ausgangspunkt bildet, liegt die entscheidende ethische Aufgabe darin, die geschenkte Freiheit zu bewahren und zu bewähren. Daraus ergibt sich eine klare Trennlinie zu einer egozentrischen Freiheit, die nur auf den eigenen Vorteil sieht. In einem solchen Freiheitsverständnis wird der andere als Beeinträchtigung, ja vielleicht sogar als Bedrohung der eigenen Freiheit angesehen. Freiheit wird als ein Recht betrachtet, das ich gegen die anderen verteidige. Demgegenüber wird das christliche Freiheitsverständnis durch das Liebesgebot ausgelegt: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.» Das Achten auf das eigene Leben und die Verantwortung für das, was jeder für sich selbst braucht, hat in diesem Gebot durchaus seinen Platz. Aber was der andere braucht, ist genauso wichtig. Die Freiheit trennt Menschen nicht, sondern verbindet sie miteinander. Das christliche Verständnis zielt nicht auf eine egozentrische, sondern auf eine kommunikative Freiheit.
    Freiheit wird in der Liebe konkret. Das ist die Grundidee der christlichen Ethik. Verantwortung für das eigene und für fremdes Leben gehören unlöslich zusammen. Selbstbestimmung und wechselseitiges Füreinander-Eintreten verbinden sich miteinander. Freiheit soll so gestaltet werden, dass sie das gemeinsame Leben nicht zerstört, sondern fördert. Aber die Formen des gemeinsamen Lebens dürfen die Freiheit nicht knebeln, sondern sollen sie zur Entfaltung kommen lassen. Der Ausgangspunkt der Ethik ist verantwortete Freiheit.
    Die Frage nach der Freiheit des Menschen gehört zu den Grundthemen der Philosophie, ist aber ebenso eine Frage der Theologie. Gerade an diesem Thema lässt sich

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