Ethik: Grundwissen Philosophie
formulieren. (Vgl. Kaulbach 1969, 220)
3. Wenn die Glückseligkeit das oberste Prinzip sein sollte, dann hätte die Natur es sehr schlecht eingerichtet, »sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer durch Instinkt vorgezeichnet.« (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA 4f.)
4. Die Glückseligkeit wird zwar von jedem angestrebt. Dennoch ist das, was unter Glückseligkeit verstanden wird, jeweils individuell verschieden. Deshalb können [16] »praktische Vorschriften, die sich auf sie gründen, […] niemals allgemein sein, denn der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens ist auf das Gefühl der Lust und Unlust, das niemals als allgemein auf dieselben Gegenstände gerichtet angenommen werden kann, gegründet. […] Der Bestimmungsgrund wäre immer doch nur subjektiv gültig und bloß empirisch und hätte diejenige Notwendigkeit nicht, die in einem jeden Gesetze gedacht wird, nämlich die objektive aus Gründen a priori.« (KpV A 45–47)
Wegen dieser hier angeführten Gründe muss man nach Kant Moral und Ethik auseinanderhalten. Wie bereits im Vorwort erwähnt: Die Unterscheidung von Ethik und Moral kann man in zwei Fragen kleiden, sodass die Differenz unmittelbar augenfällig wird. Die moralische Frage lautet: »Warum ist man kategorisch verpflichtet, x zu tun?« (Wingert 1993, 32) Die ethische Frage hingegen: »Warum ist es gut für mich, x zu tun?« (Wingert 1993, 33); es ist die Frage nach dem Weg zur Erlangung des Glücks.
Ethische Problematiken sind solche, die »die Integrität eines praktischen Selbstverhältnisses stören«, moralische sind solche, die ein »intersubjektives Verhältnis belasten«. (Wingert 1993, 131) Festzuhalten ist also: Ethische Erörterungen betreffen immer das Selbstverhältnis, moralische die Interaktionen vergesellschafteter Individuen. »Während ethische Probleme sich
mir
stellen, sind moralische Probleme praktische Probleme für
uns
.« (Wingert 1993, 145; Hervorhebungen nicht im Original)
Diese von Kant eingeführte Differenzierung entspricht der sozialen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; in dieser Zeit verliert der Staat »sichtbar die Kontrolle über die Glücksbeschaffung und zugleich wird dem Individuum mehr und mehr zugemutet, sich selbst um sein Glück zu kümmern« (Luhmann 2000, 207). Es gibt nach Kant neben der Moral das Thema des für den einzelnen Menschen Guten. Der einzelne Mensch stellt sich die Frage danach, was für ihn gut ist. Diese Thematisierung der Ethik bezieht sich [17] nicht nur auf bestimmte Fähigkeiten, die für den Menschen gut sind, beispielsweise, an sich zu arbeiten und eine gute Tennisspielerin oder ein guter Koch zu werden und an diesen Fähigkeiten Freude zu empfinden. »Das ethisch Gute ist nicht einfach ein Wertmaßstab unter anderen Wertmaßstäben. Die Orientierung an ihm führt dazu, daß die betreffende Person sich nicht bloß in einer Hinsicht, sondern schlechthin bejahen kann.« (Wingert 1993, 136)
In Abgrenzung zu den ethischen Fragen geht es nun darum, die Frage nach dem moralischen Prinzip zu stellen. Was ist nun das von Kant gesuchte moralische Prinzip, das dem Kriterium der Allgemeingültigkeit entspricht und dessen Verwirklichung mit absoluter Notwendigkeit eintreten muss? Kant beginnt die Entwicklung dieses Prinzips mit folgender Einsicht: Der Mensch ist von Natur aus ein Vernunftwesen und als solches frei, das heißt, er kann sich von Natureinflüssen mittels der Vernunft frei machen. Alle anderen Wesen werden von der Natur in ihren Handlungen bestimmt; Tiere durch ihre Instinkte. Pferde können bei Gefahr immer nur fliehen und Raubtiere nur angreifen. Tierisches Verhalten ist festgelegt und berechenbar. Darauf beruht der Erfolg der Dressur. Der Mensch hingegen kann sein Handeln selbst bestimmen und kann sich das Gesetz des Handelns selbst geben.
Jeder Mensch hat von Natur aus Vernunft.
Darum kann Kant die Vernunft als apodiktisch evidenten Anfang für die Entwicklung seines Moralsystems nehmen
. »Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen.« (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten BA 64) Oder anders: »Was den Menschen zum Menschen auszeichnet, was ihm seine menschliche Gestalt gibt, ist die Vernunft, das Vermögen,
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