Eugénie Grandet (German Edition)
Magd beneidete die arme Sechzigjährige um ihren gesicherten Lebensabend, ohne an den harten Dienst zu denken, in dem dies Altersbrot erworben worden war.
Im Alter von zweiundzwanzig Jahren hatte das arme Mädchen nirgends eine Stellung finden können, so abstoßend wirkte ihr Äußeres. Und das war wirklich ungerecht: einem Gardegrenadier hätte ihr Gesicht sehr gut angestanden, aber es heißt nun einmal: »Alles an seinem Platz«. Da die Meierei, wo sie als Kuhmagd in Dienst gestanden hatte, das Opfer eines Brandes geworden war, kam sie nach Saumur, wo sie sich mit robustem Mut zu jeglichem Dienst anbot. Das war zur Zeit, als Grandet sich verheiraten wollte und für seinen neuen Hausstand Vorbereitungen traf. Er nahm das Mädchen auf, das von Tür zu Tür gelaufen, aber immer abgewiesen worden war. Als Böttchermeister wußte er Körperkräfte sehr wohl zu schätzen und ahnte, welch großen Nutzen man aus diesem weiblichen Herkules ziehen könne, der so fest auf seinen Füßen stand wie eine sechzigjährige Eiche auf ihren Wurzeln. Diese Nanon war breithüftig, hatte einen viereckigen Rücken, Hände wie ein Karrenschieber und eine leidenschaftliche Redlichkeit und unangefochtene Tugend. Weder die Warzen, die ihr martialisches Gesicht zierten, noch die ziegelrote Haut, weder die nervigen Arme, noch die Lumpen der Nanon schreckten den Böttcher ab, der sich noch in dem Alter befand, in dem das Herz mitfühlend sein kann. Er versorgte also das arme Ding mit Kleidern und Schuhen, gab ihr Nahrung und einen geringen Lohn und ließ sie arbeiten – ohne sie zu überanstrengen. Als sie sich so aufgenommen sah, weinte die Große Nanon im stillen vor Freude und empfand für den Böttcher eine unbegrenzte Anhänglichkeit.
Nanon machte alles: sie kochte, sie besorgte die Wäsche, trug sie auf den Schultern hinunter zur Loire und wieder heim; sie erhob sich bei Tagesgrauen und ging spät zur Ruhe, sie versorgte zur Zeit der Weinlese die Winzer mit Speise und Trank, überwachte die Leute, die die Nachlese hielten, und verteidigte wie ein treuer Hund das Eigentum ihres Herrn. Sie verehrte ihn so blind, daß sie seinen albernsten Launen gehorchte.
Nach dem berühmten Jahre 1811, das ungeheure Anforderungen an die Erntearbeiter stellte, machte Grandet der Nanon, die nun zwanzig Jahre in seinem Dienst stand, seine alte Uhr zum Geschenk – das einzige Geschenk, das sie jemals von ihm erhielt. Allerdings durfte sie seine alten Schuhe auftragen, die für ihre großen Füße gerade passend waren, doch dies Schuhwerk war stets so abgenutzt, daß man eine solche vierteljährliche Zuwendung nicht als Geschenk betrachten konnte.
Die Not hatte das arme Mädchen so geizig gemacht, daß Grandet bald eine gewisse Zuneigung für sie empfand – etwa wie für einen treuen Hund, und Nanon hatte sich von ihm ein Stachelhalsband umlegen lassen, dessen Stacheln nicht mehr schmerzten. Wenn Grandet das Brot allzu sparsam bemaß, beklagte sie sich nicht; sie nahm gern teil an den hygienischen Vorteilen, die das strenge Leben in diesem Hause mit sich brachte; hier war niemals jemand krank gewesen. Ferner schloß sich Nanon ganz an die Familie an: sie lachte, wenn Grandet lachte, bekümmerte sich, fror, schwitzte und arbeitete mit ihm. Wieviel süße Vergeltung kam ihr aus dieser Gemeinsamkeit! Niemals hatte der Herr der Magd einen Verweis erteilt, wenn sie sich zuweilen das Fallobst der Pfirsich- und Pflaumenbäume im Garten schmecken ließ. »Nur zu, Nanon, wohl bekomm's!« sagte er zu ihr in den Jahren, da die Äste unter der Last der Früchte zu brechen drohten, so daß man den Überfluß als Schweinefutter verwenden mußte.
Für ein armes Ding vom Lande, das in seiner Jugend stets schlecht behandelt worden war, für ein auf Barmherzigkeit angewiesenes armes Mädchen war das sauersüße Lächeln Grandets ein wahrer Sonnenstrahl. Überdies konnte das schlichte Herz, der gerade Sinn Nanons nicht mehr als einer Empfindung Raum geben, nur einen Gedanken fassen. Seit fünfunddreißig Jahren gedachte sie immer des Augenblicks, als sie mit nackten Füßen, in Lumpen auf dem Bauhof Grandets erschien und der Böttchermeister sie fragte: »Was willst du, mein Herzchen?« Und ihre Dankbarkeit blieb immer jung.
Manchmal kam es Grandet wohl in den Sinn, daß dies arme Wesen niemals ein Wort der Schmeichelei vernommen habe, daß sie alle die Freuden entbehren müsse, die der Mann dem Weibe schenkt, und daß sie eines Tages vor Gottes Thron hintreten werde
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