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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ein junges Mädchen heiratet, muß ihre Familie oder die Familie ihres Gatten ihr eine Börse geben, in der sich, je nach dem Vermögen, zwölf oder zwölf Dutzend oder zwölfhundert Geldstücke befinden. Die ärmste Hirtin heiratet nicht ohne ihr »Dutzend«, mag es auch nur aus klotzigen Sousstücken bestehen. Noch heute erzählt man sich in Issoudun von dem »Dutzend« einer reichen Erbin, das hundertvierundvierzig Goldportugiesen enthielt. Papst Clemens VII., Onkel der Katharina von Medici, der sie an Heinrich II. verheiratete, machte ihr bei diesem Anlaß ein Dutzend alter Goldmünzen von außerordentlichem Wert zum Geschenk.
    Während des Abendessens hatte Vater Grandet, ganz glücklich, seine Eugénie durch ein neues Kleid verschönt zu sehen, ausgerufen: »Nun, da heute Eugénies Geburtstag ist, so wollen wir ein Feuerchen machen. Das wird von guter Vorbedeutung sein.«
    »Mademoiselle wird gewiß in diesem Jahre heiraten«, sagte die Große Nanon, indem sie die Reste einer Ente – des Fasans der Böttcherkreise – abtrug.
    »Ich sehe keine geeignete Partie für sie in Saumur«, erwiderte Madame Grandet mit einem schüchternen Blick auf ihren Mann, einem Blick, der die ganze eheliche Knechtschaft verriet, unter der die arme Frau schmachtete. Grandet musterte seine Tochter und rief erfreut: »Sie wird heute dreiundzwanzig Jahre; man muß sich bald mit ihr befassen!«
    Eugénie und ihre Mutter warfen sich einen Blick des Einverständnisses zu.
    Madame Grandet war ein mageres, welkes Weib, quittengelb, linkisch und langsam; eine jener Frauen, die wie geschaffen scheinen, um tyrannisiert zu werden. Sie war grobknochig, hatte eine große Nase, eine breite Stirn und große Augen und erinnerte beim ersten Anblick ein wenig an holzige Früchte, die weder Saft noch Süße haben. Ihre Zähne waren schwarz und lückenhaft, ihr Mund war welk, ihr Kinn spitz und hervorstehend. Sie war eine ausgezeichnete Gattin, eine echte la Bertellière, und der Abbé Cruchot sagte ihr wohl gelegentlich, daß sie sicherlich keine große Sünderin sei, und sie glaubte ihm gern. Eine engelhafte Sanftmut, seltene Frömmigkeit, unerschütterliche Seelenruhe, ein gutes Herz und die Resignation des Insekts, das den täppischen Händen eines Kindes überliefert ist – das waren Gaben, die man an ihr bewunderte.
    Ihr Mann gab ihr nie mehr als sechs Francs auf einmal für ihre kleinen Ausgaben. Wenn schon diese Frau Monsieur Grandet als Mitgift und als Erbe mehr als dreihunderttausend Francs eingebracht hatte, verbot ihr ihre Sanftmut doch, sich gegen die demütigende Abhängigkeit aufzulehnen, in der Grandet sie erhielt. Sie brachte es nicht fertig, auch nur einen Sou zu verlangen, und hatte nie ein Wort der Ablehnung, wenn der Notar Cruchot ihr allerlei Akten zur Unterschrift vorlegte. Dieser geheime Edelsinn, ihr von Grandet beständig verkannter und verletzter Seelenadel beherrschte ihr ganzes Wesen.
    Madame Grandet trug stets ein Kleid aus grünlicher Levantine, das Jahr für Jahr durch ein neues ersetzt wurde, ferner ein großes weißes Brusttuch, einen derben Strohhut und fast immer eine Schürze aus schwarzem Taft. Da sie selten ausging, brauchte sie wenig Schuhwerk. Kurz, sie brauchte nie irgend etwas für sich. Es kam wohl vor, daß Grandet Gewissensbisse spürte, wenn ihm einfiel, daß es schon lange her sei, seit er seiner Frau die letzten sechs Francs gegeben habe; dann stiftete er ihr ein Nadelgeld vom Erlös seiner Jahresernte. Die vier oder fünf Louisdors des Holländers oder Belgiers, der Grandets Weinlese kaufte, bildeten die hauptsächlichsten Einkünfte von Madame Grandet. Aber oft, wenn sie ihre fünf Louis erhalten hatte, sagte ihr Gatte – so, als ob sie gemeinsame Kasse führten: »Kannst du mir ein paar Sous leihen?« Und die arme Frau war glücklich, einem Mann gefällig sein zu können, den ihr Beichtvater als Herrn und Meister über sie gesetzt hatte, und im Laufe des Winters gab sie ihm von ihrem Nadelgeld so manchen Taler wieder heraus.
    Wenn Grandet das Hundertsousstück aus der Tasche zog, das er seiner Tochter monatlich für kleine Privatausgaben, wie Garn und Nadeln und ähnliches, ausgesetzt hatte, so versäumte er nie, sich an seine Frau zu wenden: »Und du, die Mutter, willst du irgend etwas?« »Lieber Mann«, erwiderte Madame Grandet mit mütterlicher Würde, »das wird sich gelegentlich ergeben.« Verschwendeter Zartsinn! Grandet hielt sich für sehr nobel seiner Frau gegenüber.
    Haben sie da nicht

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