Eugénie Grandet (German Edition)
Straße blickten, war gedielt und hatte an den Wänden bis zur Decke hinauf eine graue, reichgeschnitzte Holzverkleidung. Die Decke bestand aus offenliegenden, gleichmäßig grau gestrichenen Balken, und das Fachwerk dazwischen trug einen vom Alter gelb gewordenen Kalkbewurf. Eine alte kupferne Wanduhr mit Arabesken in Schuppenmusterung zierte den steinernen Kaminsims. Über dem Sims erhob sich ein grünliches Spiegelglas, das an den Kanten abgeschrägt war, um seine Dicke sehen zu lassen. Dieser Schliff warf auf einen gegenüberhängenden Pfeilerspiegel aus damasziertem Stahl einen grellen Lichtstreifen. Die beiden Armleuchter aus vergoldetem Kupfer, die je eine Ecke des Simses einnahmen, erfüllten einen doppelten Zweck: hob man die als Lichtdillen dienenden Rosenkelche an ihrem Hauptstengel aus dem Fußgestell heraus, so konnte dieses allein – es war aus bläulichem Marmor mit kupfernen Beschlägen – als Leuchter für den Alltag dienen.
Die altmodisch geformten Sessel hier im Saal wiesen Stickereien auf, die Szenen aus Fabeln Lafontaines darstellten. Aber man mußte die Fabeln gut kennen, um ihren Hergang aus den verblaßten Farben und kaum sichtbaren Gestalten herauslesen zu können.
In den vier Ecken des Saales standen Eckschränke, büffetartige Möbel mit schmutzigen Etageren. Ein alter Spieltisch, dessen Intarsien ein Schachbrett darstellten, stand zwischen den beiden Fenstern. Über dem Tisch hing ein ovales Barometer in schwarzem Rahmen, den schmale Goldstreifen verzierten; diese waren aber seit langem ein so beliebter Tummelplatz der Fliegen, daß kaum noch etwas von der Vergoldung zu sehen war.
An der dem Kamin gegenüberliegenden Wand hingen zwei Gemälde: das Porträt des Großvaters der Madame Grandet, des alten Monsieur de la Bertellière, als Leutnant der Leibgarde, und das Porträt der verstorbenen Madame Gentillet als Schäferin. Die beiden Fenster hatten rote Vorhänge, die von seidenen Schnüren emporgehalten wurden. Dieser kostbare Behang, der so wenig mit der Lebensführung Grandets in Einklang zu bringen war, war seinerzeit beim Kauf des Hauses mit übernommen worden, ebenso der Spiegel, die Wanduhr, die Gobelinstühle und die Eckschränke aus Rosenholz.
In der Nische des der Tür zunächst gelegenen Fensters stand ein Rohrstuhl; man hatte ihn durch untergenagelte Leisten so erhöht, daß Madame Grandet von ihrem Sitz aus die Vorübergehenden mustern konnte. Auch ein Nähtisch aus ausgeblichenem Kirschholz stand dort und daneben der kleine Sessel der Tochter Eugénie.
Seit fünfzehn Jahren hatte sich das Leben von Mutter und Tochter ruhig, in beständiger Arbeit Tag für Tag hier abgespielt im beschaulichen Zählen der Tage vom April bis November. Vom ersten November an konnten sie ihren Winterplatz beim Kamin beziehen. Erst an diesem Tage gestattete Grandet, daß im Saal Feuer gemacht wurde; und pünktlich am 31. März ließ er die Feuerung wieder einstellen, wobei er sich weder um die Frühlingsfröste noch um die Kälteeinbrüche des Herbstes scherte. Ein Fußwärmer, den die Große Nanon mit der Restglut des Küchenfeuers füllen durfte, half Madame und Mademoiselle Grandet über die kältesten Morgen und Abende des April und Oktober hinweg. Mutter und Tochter hielten den ganzen Wäschebestand des Hauses in Ordnung und verwendeten ihre Tage so gewissenhaft auf diese grobe Näherinnenarbeit, daß Eugénie, wenn sie ihrer Mutter ein Krägelchen sticken wollte, die Stunden der Nacht zu Hilfe nehmen mußte. Selbst das Licht zu dieser Nebenarbeit mußte sie sich auf hinterlistige Weise beschaffen, denn der Geizhals teilte sowohl seiner Tochter wie der Großen Nanon ihr Licht zu, so wie er auch jeden Morgen das Brot und den sonstigen täglichen Bedarf an Lebensmitteln zuteilte.
Die Große Nanon war vielleicht der einzige Mensch, der imstande war, den Despotismus ihres Herrn gleichmütig zu ertragen. Die ganze Stadt beneidete Monsieur und Madame Grandet um diesen Dienstboten. Die Große Nanon – so genannt, weil ihre Größe fünf Fuß acht Zoll betrug – war seit fünfunddreißig Jahren im Hause Grandet. Obgleich sie nicht mehr als sechzig Francs Lohn hatte, galt sie als eine der reichsten Dienstmägde in Saumur. Ihre seit fünfunddreißig Jahren alljährlich zurückgelegten sechzig Francs hatten ihr unlängst erlaubt, bei Meister Cruchot viertausend Francs als Leibrentenkapital anzulegen. Der Erfolg der langen, ausdauernden Sparsamkeit der Großen Nanon erschien gigantisch. Jede
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