Eugénie Grandet (German Edition)
sagte Grandet. »Also«, fuhr er fort, zu Frau und Tochter gewendet, die bei seinen Worten erbleicht waren, »daß ihr mir keine Dummheiten macht, ihr beiden. Ich verlasse euch jetzt. Ich muß nach unsern Holländern sehen; sie reisen heute wieder ab. Dann werde ich zu Cruchot gehen und mit ihm über all das sprechen.«
Er ging. Als Grandet die Tür hinter sich geschlossen hatte, atmeten Eugénie und ihre Mutter befreit auf. Bis heute hatte das junge Mädchen sich nicht in Gegenwart des Vaters beengt gefühlt, aber seit einigen Stunden wechselte sie fortwährend Gedanken und Gefühle.
»Mama, wieviel Louis bekommt man für ein Stückfaß Wein?«
»Dein Vater verkauft sie, soviel ich habe sagen hören, für hundert bis hundertfünfzig Francs, manchmal auch für zweihundert.«
»Wenn er also vierzehnhundert Stückfaß Wein erntet...?«
»Ich weiß wirklich nicht, mein Kind, wieviel das ausmacht; dein Vater spricht mir nie von seinen Geschäften.«
»Aber demnach muß Papa reich sein.«
»Vielleicht. Aber Monsieur Cruchot hat mir gesagt, daß er vor zwei Jahren Froidfond gekauft hat; das wird ihn etwas beengen.«
Eugénie, die sah, daß sie sich über die Vermögensverhältnisse ihres Vaters keine Klarheit verschaffen konnte, gab ihre Berechnungen auf.
»Er hat mich überhaupt nicht gesehen, der liebe junge Monsieur«, sagte Nanon, wieder eintretend. »Er liegt quer über seinem Bett, wie ein totes Kalb, und weint wie die heilige Magdalena; das ist ein rechter Segen! Was für Kummer hat denn das arme hübsche Jungchen?«
»Komm, schnell, Mama, wir wollen ihn trösten, und wenn dann ans Haustor geklopft wird, kommen wir schnell wieder herunter.«
Madame Grandet war wehrlos gegenüber den reinen, sanften Worten ihrer Tochter. Eugénie war himmlisch erhaben, sie war Weib. Alle beide stiegen klopfenden Herzens hinauf in Charles' Zimmer. Die Tür war offen. Der junge Mann sah und hörte nichts. In Tränen gebadet lag er da und stieß unartikulierte Klagerufe aus. »Wie er seinen Vater liebt!« sagte Eugénie mit leiser Stimme.
Der Tonfall, in dem diese Worte gesprochen wurden, verriet nur zu deutlich die Hoffnungen eines liebenden – unbewußt liebenden Herzens. Madame Grandet blickte voll mütterlicher Innigkeit auf ihre Tochter; dann sagte sie ihr ganz leise ins Ohr: »Nimm dich in acht, du könntest ihn lieben!«
»Ihn lieben!« erwiderte Eugénie. »Ach, wenn du wüßtest, was der Vater gesagt hat.«
Charles drehte sich herum und gewahrte Tante und Cousine.
»Ich habe meinen Vater verloren, meinen armen Vater! Wenn er mir das Geheimnis seines Unglücks anvertraut hätte, so hätten wir alle beide arbeiten können, um es wiedergutzumachen. Mein Gott! Mein armer, guter Vater! Ich glaubte so bestimmt, ihn wiederzusehen, daß ich, soviel ich weiß, nur ganz oberflächlich Abschied von ihm nahm.« Schluchzen erstickte seine Stimme.
»Wir wollen recht innig für ihn beten«, sagte Madame Grandet. »Ergeben Sie sich in den Willen Gottes.« »Lieber Cousin«, sagte Eugénie, »haben Sie Mut! Ihr Verlust ist unwiederbringlich: Sie müssen jetzt daran denken, Ihre Ehre zu retten...«
Mit dem Instinkt, dem Feingefühl der Frau, die immer, auch wenn sie Trost zuspricht, verständig bleibt, wollte Eugénie den Cousin von seinem Kummer ablenken, indem sie seine Gedanken auf ihn selbst hinwies.
»Meine Ehre?...« schrie der junge Mann und warf die Locken zurück, die ihm wirr ins Gesicht hingen. Und er setzte sich aufrecht aufs Bett und kreuzte die Arme. »Ach, es ist wahr. Mein Onkel sagte, mein Vater habe Bankrott gemacht. «Er stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und barg das Gesicht in den Händen. »Lassen Sie mich, liebe Cousine, lassen Sie mich! Mein Gott, mein Gott! vergib meinem armen Vater; er muß sehr gelitten haben.«
In diesem gewaltigen Ausbruch eines jungen, aufrichtigen, rückhaltlosen Schmerzes lag etwas furchtbar Anziehendes. Es war ein keusches Leid, das die schlichten Herzen Eugénies und ihrer Mutter wohl verstanden, als Charles nun durch eine Gebärde bat, ihn sich selbst zu überlassen.
Sie stiegen hinunter, nahmen schweigend wieder ihre Plätze am Fenster ein und arbeiteten wohl eine ganze Stunde lang, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Eugénie, die einen flüchtigen Blick auf die Reiseausstattung des jungen Mannes geworfen hatte – den schnell erfassenden Blick eines jungen Mädchens –, hatte die reizendsten Toilettenkleinigkeiten bemerkt, seine Scheren und Rasiermesser, alles
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