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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schwächer und schwächer werdend, bis zum Abend.
    »Armer junger Mann!« sagte Madame Grandet.
    Verhängnisvoller Ausruf! Vater Grandet betrachtete seine Frau, dann Eugénie und die Zuckerdose; er erinnerte sich des üppigen Frühstücks, das man dem unglücklichen Verwandten aufgetischt hatte. Er stellte sich in der Mitte des Saals in Positur.
    »Ich hoffe«, sagte er mit seiner gewohnten Ruhe, »daß Sie in Ihrer Verschwendungssucht nicht fortfahren werden, Madame Grandet. Ich gebe Ihnen nicht mein Geld, damit Sie diesen jungen Gecken mit Zucker vollstopfen.
    »Meine Mutter hat nichts damit zu tun«, sagte Eugénie.
    »Ich bin es, die...«
    »Meinst du, weil du mündig bist, darfst du es wagen, mir zu widersprechen?« fiel Grandet der Tochter ins Wort. »Bedenke, Eugénie...«
    »Mein Vater, dem Sohn Ihres Bruders sollte bei Ihnen nichts abgehen...«
    »Ta ta ta ta!« sang der Böttcher die chromatische Tonleiter.
    »Der Sohn meines Bruders hier – mein Neffe da. Charles ist uns gar nichts, er ist ein armer Schlucker; sein Vater hat Bankrott gemacht. Und sowie der Zierbengel sich ausgeweint hat, muß er sich aus dem Staube machen; ich wünsche nicht, daß er das ganze Haus rebellisch macht.«
    »Was ist das, Vater, Bankrott machen?« fragte Eugénie.
    »Bankrott machen«, erwiderte der Vater, »heißt: von allen ehrlosen Handlungen, die ein Mann begehen kann, die ehrloseste begehen.«
    »Das muß eine recht große Sünde sein«, sagte Madame Grandet, »und unser Bruder wird die Strafe der Verdammnis erleiden.«
    »Da kommst du schon wieder mit deinen Litaneien«, sagte er achselzuckend zu seiner Frau. – »Bankrott machen, Eugénie«, fuhr er fort, »ist ein Diebstahl, den bedauerlicherweise das Gesetz begünstigt. Die Leute haben Guillaume Grandet ihr Geld anvertraut, weil sie ihn für ehrenhaft und redlich hielten; er aber hat ihnen alles genommen und läßt ihnen nichts als die Augen zum Weinen. Der Straßenräuber ist dem Bankrotteur noch immer vorzuziehen: jener fällt euch an, ihr könnt euch wehren, er wagt sein Leben; dieser aber... Kurz, Charles ist entehrt.«
    Diese Worte tönten im Herzen des armen Mädchens wider und belasteten es mit ihrer ganzen Schwere. Rein und unberührt wie eine liebliche Blume mitten im Wald, kannte sie weder die Grundsätze der großen Welt noch ihre arglistigen Ränke und Sophismen. Sie nahm also gläubig hin, was ihr Vater ihr sagte, der sie aber nicht mit dem Unterschied bekannt machte, der zwischen dem unfreiwilligen Bankrott und dem wohlvorbereiteten, berechnenden Bankrott liegt.
    »Und haben Sie das Unglück nicht abwenden können, Vater?«
    »Mein Bruder hat mich nicht um Rat gefragt. Übrigens beträgt seine Schuld vier Millionen.«
    »Was ist denn das, eine Million, Vater?« fragte Eugénie mit der Naivität eines Kindes, das glaubt, auf alle Fragen Auskunft zu erhalten.
    »Eine Million?« erwiderte Grandet. »Nun, das ist eine Million Zwanzigsousstücke, und für fünf Francs braucht man fünf Zwanzigsousstücke.«
    »Mein Gott! Mein Gott!« rief Eugénie. »Wie ist es denkbar, daß mein Onkel vier Millionen gehabt hat? Gibt es noch irgend jemanden in ganz Frankreich, der ebensoviel Millionen haben könnte?«
    Vater Grandet rieb sich das Kinn und lächelte, und das Gewächs auf seiner Nase schien sich aufzurecken.
    »Aber was soll aus Cousin Charles werden?«
    »Er wird nach Indien gehen, wo er, dem Wunsche seines Vaters entsprechend, versuchen wird, zu Geld zu kommen.«
    »Aber hat er Geld, um dahin zu gehen?«
    »Ich werde ihm seine Reise bezahlen ... bis ... ja, bis Nantes«.
    Eugénie fiel ihrem Vater um den Hals. »O mein Vater, wie gut Sie sind, wie gut!« Sie küßte ihn so innig, daß Grandet, der kein ganz reines Gewissen hatte, sich beinahe beschämt fühlte.
    »Braucht man viel Zeit, um eine Million zusammenzubringen?« fragte sie ihn.
    »Das will ich meinen!« sagte er. »Du weißt doch, was ein Napoleondor ist; also davon braucht man fünfzigtausend Stück, um eine Million zu haben.«
    »Mama, wir werden ihm eine Messe lesen lassen.«
    »Ich dachte schon daran«, erwiderte die Mutter.
    »Recht so!« rief der Vater; »nur immer Geld ausgeben! Ja, meint ihr denn, hier im Hause gäbe es Hunderte und Tausende?«
    In diesem Augenblick drang vom Mansardenzimmer her ein klagendes Schluchzen, verzweifelter noch als alle bisherigen Klagen.
    Eugénie und ihre Mutter waren starr vor Entsetzen.
    »Nanon, geh hinauf und sieh nach, ob er sich nicht etwa umbringt«,

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