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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gefertigt sind. Schlimm! schlimm!«
    »Was meinen Sie nur, lieber Onkel? Man soll mich hängen, wenn ich ein Wort verstehe.« – »Kommen Sie«, sagte Grandet.
    Der Geizhals klappte sein Taschenmesser zu, trank den Rest seines Weines aus und öffnete die Tür.
    »Mein lieber Cousin, haben Sie Mut!«
    Die bebende Betonung, die das junge Mädchen in diese Worte legte, versetzte Charles einen eisigen Schauer; er folgte seinem schrecklichen Verwandten in tödlichster Unruhe. Eugénie, ihre Mutter und Nanon gingen in die Küche, von unbezähmbarer Neugier ergriffen, die Szene zu beobachten, die nun in diesem kleinen modrigen Garten vor sich gehen sollte. Der Onkel schwieg vorläufig.
    Grandet fürchtete sich nicht, Charles von dem Tod seines Vaters in Kenntnis zu setzen, aber daß er ihn ohne einen Sou wußte, darüber empfand er etwas wie Mitleid, und er suchte nach einer passenden Form des Ausdrucks für diese grausame Wahrheit. ›Sie haben Ihren Vater verloren!‹ – Kleinigkeit, das zu sagen. Die Eltern sterben nun mal früher als die Kinder. Aber: ›Sie haben nicht mehr einen Sou Vermögen!‹ diese Worte umfaßten alles Unglück der Welt. Und der Biedermann schritt zum drittenmal die Mittelallee hinunter; der Sand knirschte unter seinen Füßen.
    In den großen Augenblicken unseres Lebens liebt es die Seele, sich Kleinigkeiten einzuprägen, ein getreues Bild des Ortes in sich aufzunehmen, an dem uns Freude oder Kummer überwältigte. So betrachtete auch Charles mit hingebender Aufmerksamkeit die Buchsbaumhecken des kleinen Gartens, die fallenden welken Blätter, den Verfall der Mauern, die bizarre Form der Obstbäume – lauter malerische Einzelheiten, die nun für immer in seiner Erinnerung haften sollten, durch eine Gedächtniskraft des Gefühls für immer an diese besondere Stunde gebunden.
    »Es ist recht heiß, – schönes Wetter«, sagte Grandet und tat einen kräftigen Atemzug.
    »Jawohl, lieber Onkel... Aber weshalb... ?«
    »Nun also, mein Junge«, begann der Onkel, »ich habe schlechte Botschaft für dich. Dein Vater ist recht krank...«
    »Und ich bin noch hier?« rief Charles. »Nanon, besorge mir Postpferde! Ich werde wohl irgendwo im Ort einen Wagen bekommen«, fügte er, an den Onkel gewandt, hinzu. Der rührte sich nicht. »Pferd und Wagen sind überflüssig«, erwiderte er schließlich und sah auf Charles, dessen Blick starr wurde. »Jawohl, mein armer Junge, du hast es erraten. Er ist tot. Aber das ist das wenigste; da ist etwas noch weit Traurigeres: er hat sich erschossen...«
    »Mein Vater?...«
    »Ja. Aber das ist das wenigste. Die Zeitungen machen ihre Glossen darüber, als hätten sie ein Recht dazu. Hier, lies!«
    Grandet, der sich das Zeitungsblatt von Cruchot geliehen hatte, hielt Charles den verhängnisvollen Artikel vor die Augen. Da brach der junge Mann, der noch in einem Alter war, das seine Gefühle naiv und offen äußert, in Tränen aus.
    ›Gut so, gut so‹, sagte sich Grandet. ›Seine Augen haben mir Angst gemacht. Er weint, da ist er gerettet.‹ »Das ist noch gar nichts, mein armer Neffe«, begann Grandet von neuem, ohne zu wissen, ob Charles ihn hörte. »Das ist gar nichts, du wirst dich trösten; aber...«
    »Niemals! niemals! Mein Vater! Mein Vater!«
    »Er hat dich ruiniert, du bist ganz ohne Geld.«
    »Was kümmert mich das! Wo ist mein Vater?... mein Vater!«
    Sein Weinen und Schluchzen hallte zwischen den engen Mauern in gräßlichem Echo wider. Von Mitleid ergriffen, weinten die drei Frauen, denn Tränen sind ebenso ansteckend wie das Lachen. Charles flüchtete, ohne auf seinen Onkel zu hören, in den Hof, fand die Treppe, stieg in sein Zimmer hinauf und warf sich quer übers Bett; er drückte das Gesicht tief in die Kissen und weinte sich aus, fern von seinen Verwandten.
    »Man muß den ersten Platzregen vorüber lassen«, sagte Grandet, als er wieder in den Saal trat, wo Eugénie und ihre Mutter ihre Plätze wieder eingenommen hatten und mit zitternden Händen an der Arbeit saßen, nachdem sie sich die Tränen getrocknet hatten.
    »Aber dieser junge Mann taugt zu nichts; er befaßt sich mehr mit dem Toten als mit dem Geld.«
    Eugénie erschauerte, als sie ihren Vater in solchem Ton über den heiligsten Kummer reden hörte. Von diesem Augenblick an beobachtete sie ihren Vater und urteilte über ihn.
    Das halb erstickte Schluchzen Charles' war im ganzen Hause zu vernehmen, und dies herzinnige Klagen, das aus dem Erdinnern hervorzuquellen schien, dauerte,

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