Eugénie Grandet (German Edition)
war aufgeräumt und gnädig. Als Nanon mit ihrem Spinnrad kam, sagte er: »Du wirst müde sein. Laß deinen Hanf.«
»Schön, schön!... Aber stillsitzen ist gräßlich«, antwortete die alte Magd.
»Arme Nanon! Willst du ein Gläschen Likör?«
»Oh! da sage ich nicht nein; den macht unsere Frau besser als der Apotheker. Der verkauft einen echten Schundlikör.«
»Er setzt zuviel Zucker zu«, sagte der Biedermann, »das nimmt ihm das Aroma.«
Am andern Morgen bot die Familie, die sich um acht Uhr zum Frühstück versammelt hatte, das Bild einer wahrhaft innigen Gemeinsamkeit. Das Unglück hatte ein festes Band geknüpft zwischen Madame Grandet, Eugénie und Charles; selbst Nanon sympathisierte mit ihnen, ohne es zu wissen. Was den alten Weinbauer anlangte, so machte ihn seine wieder einmal zufriedengestellte Habgier und die Gewißheit, daß der Zierbengel bald abreisen werde, ohne daß er ihm mehr zu zahlen brauche als seine Reise bis Nantes, fast gleichgültig gegen dessen Anwesenheit im Hause. Er gestattete den beiden Kindern – so nannte er Charles und Eugenie —-, sich unter den wachsamen Augen Madame Grandets nach Gefallen zu betragen, denn er setzte in seine Frau in allen Moral- und Glaubensdingen das größte Vertrauen. Die Arbeiten auf seinen Wiesen, das Anlegen der Gräben längs des Wegrandes, die Pappelanpflanzungen am Ufer der Loire und die Winterarbeiten auf dem Felde und in Froidfond nahmen ihn vollständig in Anspruch.
Nun begann für Eugénie ein herrlicher Liebesfrühling. Seit jener nächtlichen Szene, da die Cousine dem Cousin ihren Sparschatz gegeben hatte, war ihr Herz dem Schatz gefolgt. Das Geheimnis hatte die beiden zu Bundesgenossen gemacht; in ihren Blicken lag ein gegenseitiges Einverständnis, das ihre Gefühle füreinander vertiefte, sie immer inniger aneinander band, man könnte fast sagen, sie über das alltägliche Leben hinaushob. Erlaubte ihr Verwandtsein nicht eine gewisse Sanftheit des Wortes, eine Zärtlichkeit der Blicke? Auch trachtete Eugénie, die Leiden, den Kummer ihres Cousins einzuwiegen mit den kindlichen Freuden einer erwachenden Liebesneigung. Wieviel anmutige Ähnlichkeit gibt es doch in den Anfängen der Liebe und denen des Lebens! Wiegt man doch das Kind zur Ruhe mit süßen Liedern und innigen Blicken, erzählt ihm wundervolle Geschichten, die ihm die Zukunft in goldenem Glanze zeigen. Die Hoffnung des Kindes – entfaltet sie nicht immer wieder ihre strahlenden Schwingen? Vergießt das kleine Wesen nicht abwechselnd Tränen der Freude und Tränen des Schmerzes? Streitet es nicht um ein Nichts, um ein paar Kiesel, mit denen es sich einen schwankenden Palast baut, um Blumen, die ebenso schnell vergessen wie gepflückt sind? Ist es nicht voll Gier, die Zeit festzuhalten, voranzukommen im Leben? Die Liebe ist unsere zweite Kindheit. Kindheit und Liebe waren zwischen Eugenie und Charles ein und dasselbe: das war die erste Liebe mit all ihren Kindereien, um so inniger ihren Herzen, als sie voll Schwermut und Trauer war. Im übrigen war diese Liebe, die unter den Schleiern der Trauer nur zögernd und widerstrebend geboren wurde, darum nur um so mehr in Einklang mit der bürgerlichen Schlichtheit dieses altersgrauen Hauses. Wenn Charles im stillen Hof am Brunnen mit seiner Cousine ein paar Worte tauschte, wenn er im Gärtchen mit ihr auf einer Moosbank saß und. sie einander große Nichtigkeiten sagten und dem Sonnenuntergang zuschauten, oder in der Ruhe, die hier zwischen den Wällen und dem Hause herrschte, wie in dem Kreuzgang einer Kirche, andächtig schwiegen – dann fühlte und begriff er die Heiligkeit der Liebe; denn seine große Dame, die geliebte Annette, hatte ihm nur ihre Stürme und Verwirrungen gezeigt. In solchen Augenblicken sagte er sich los von der pariserischen, koketten, eitlen und prunkenden Leidenschaft und wandte sich der reinen und wahren Liebe zu. Er liebte sogar dieses Haus, dessen Gewohnheiten ihm nicht mehr so lächerlich schienen. Früh am Morgen schon kam er herunter, um mit Eugénie ein paar Worte zu plaudern, ehe Grandet kam, um die Tagesration auszuteilen; und wenn der Tritt des Biedermanns auf der Treppe ertönte, flüchtete er in den Garten. Das Unerlaubte solcher morgendlichen Begegnungen, von denen selbst Eugénies Mutter nichts wußte und die Nanon zu übersehen schien, gaben dieser unschuldigsten Liebe von der Welt den entzückenden Reiz des Verbotenen.
Wenn dann nach dem Frühstück Vater Grandet fortgegangen war, um nach
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