Eugénie Grandet (German Edition)
Boden sichtbar wurde. »Hier sehen Sie, was mir über alles auf der Welt wertvoll ist.«
Er nahm zwei Porträts heraus, zwei Meisterwerke von Madame de Mirbel; sie waren von kostbaren Perlen umrahmt.
»Oh, die schöne Dame! Ist es nicht die Dame, an die Sie soeben geschrieben...?
»Nein«, sagte er lächelnd. »Diese Frau ist meine Mutter, und hier ist mein Vater. Es sind die Bilder Ihres Onkels und Ihrer Tante. Eugénie, ich möchte Sie auf Knien beschwören, mir dies Kleinod zu hüten. Sollte ich zugrunde gehen und Ihr kleines Vermögen verlieren – dies Gold wird Sie schadlos halten; und – nur Ihnen kann ich diese beiden Porträts anvertrauen; Sie sind es wert, sie zu bewahren; aber vernichten Sie sie später, damit sie nach Ihnen nicht in andere Hände kommen...« Eugénie schwieg. »Also ja, nicht wahr?« fügte er liebenswürdig hinzu.
Als sie dieselben Worte hörte, die sie soeben ihm gegenüber angewendet hatte, dieselbe liebliche Bitte, warf sie ihm den ersten innigen Liebesblick zu, einen Blick, in dem wohl ebensoviel Koketterie wie Tiefe lag. Er ergriff ihre Hand und küßte sie.
»O reiner Engel! Nicht wahr, zwischen uns soll das Geld niemals eine Rolle spielen? Das Gefühl, das es anzuwenden weiß, soll für uns von nun ab alles sein.«
»Sie sehen Ihrer Mutter ähnlich. Hatte sie eine ebenso sanfte Stimme wie Sie?«
»Oh! Noch viel sanfter...«
»Ja, für Sie«, sagte sie, die Lider senkend. »Doch, Charles, legen Sie sich hin, ich will es, Sie sind müde. Auf morgen!«
Sie löste sachte ihre Hände aus den seinen. Er begleitete sie mit der brennenden Kerze zu ihrem Zimmer. Als sie beide auf der Schwelle standen, seufzte er: »Ach, daß ich nun arm bin!« »Bah! mein Vater ist reich, ich bin davon überzeugt«, erwiderte sie. »Armes Kind«, entgegnete Charles und trat einen Schritt ins Zimmer; er lehnte sich an die Mauer. »Da würde er meinen Vater nicht haben sterben lassen, würde Sie nicht ein so armseliges Leben führen lassen und würde selbst anders leben.«
»Aber er besitzt Froidfond.«
»Und was ist Froidfond wert?«
»Ich weiß nicht; aber er hat Noyers.«
»Irgendeine kleine Meierei!«
»Er hat Weingärten und Wiesen...«
»Sorgen«, sagte Charles verächtlich. »Wenn Ihr Vater auch nur vierundzwanzigtausend Francs Rente hätte, würden Sie da dies kalte, nackte Zimmer bewohnen?« fügte er, einen Fuß vorsetzend, hinzu. »Da werden also meine Schätze ruhen«, sagte er, auf die alte Truhe zeigend, um seine Gedanken zu verbergen.
»Gehen Sie schlafen«, antwortete sie. Er sollte nicht das unaufgeräumte Zimmer sehen.
Charles trat zurück, und sie sagten einander mit einem Lächeln gute Nacht.
Alle beide schliefen sie mit demselben Traum ein, und Charles begann nun seine Trauer mit Rosen zu schmücken.
Am andern Morgen fand Madame Grandet vor dem Frühstück schon Eugénie in Begleitung Charles' im Garten. Der junge Mann war noch traurig; er hatte die Trauer des Unglücklichen, der in die Tiefen seines Kummers hinabgestiegen ist und der nun in diesem schrecklichen Abgrund die ganze Schwere seines zukünftigen Lebens auf sich lasten fühlt.
»Der Vater wird nicht vor dem Mittagessen heimkommen«, sagte Eugénie, als sie die Unruhe im Antlitz der Mutter sah.
Es war leicht, in Eugénies Benehmen, auf ihrem Gesicht und in der sanften Melancholie ihrer Stimme zu gewahren, daß zwischen ihr und dem Cousin eine tiefe Seelengemeinschaft bestand. Ihre Seelen hatten sich flammend vereint, wohl noch ehe sie wirklich die Kraft des Gefühls erprobt hatten, das sie so eins ans andere band.
Charles blieb nun im Saal, und man achtete seine Trauer und störte ihn nicht. Jede der drei Frauen hatte ihre Beschäftigung. Da Grandet heute seine Geschäfte vernachlässigte, kamen allerlei Leute ins Haus, die nach ihm fragten: der Dachdecker, der Zinngießer, der Maurer, die Erdarbeiter, der Zimmermann, ferner die Gutspächter und Meier, die einen, um Aufträge entgegenzunehmen, die andern, um Miete zu bezahlen oder Gehälter zu empfangen. Madame Grandet und Eugénie mußten also fortwährend hin und her laufen und auf die Fragen der Arbeiter und Landleute antworten. Nanon nahm die Abgaben an Lebensmitteln in Empfang und verwahrte sie in der Küche. Sie wartete stets die bezüglichen Anordnungen ihres Herrn ab, um zu wissen, was für den Hausgebrauch behalten und was auf dem Markt verkauft werden sollte. Es war nämlich des Biedermanns Gewohnheit – und es gibt viele Landedelleute, die es
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