Eugénie Grandet (German Edition)
seiner steinernen Stirn, auf seinen zusammengekniffenen Lippen war all seine starre Verleugnung der Tochter zu lesen. Nicht einmal die Tränen rührten ihn, die seine spärlichen, sich fast immer gleichbleibenden Antworten den müden Augen seiner Frau entlockten.
»Möge Gott Ihnen verzeihen, Monsieur, wie ich Ihnen verzeihe«, sagte sie. »Eines Tages werden Sie Nachsicht nötig haben.«
Seit der Krankheit seiner Frau hatte er nicht mehr gewagt, sich seines schrecklichen ›Ta ta ta ta‹ zu bedienen, aber ebensowenig vermochte dieser Engel an Sanftmut seinen grausamen Eigenwillen zu entwaffnen. Und Frau Grandets Häßlichkeit verschwand von Tag zu Tag mehr und mehr unter dem Ausdruck sittlicher Größe, der jetzt auf ihrem Antlitz erblühte. Sie war ganz Seele. Der Geist des Gebets schien die groben Züge ihres Antlitzes zu veredeln und breitete seinen reinen Abglanz über ihr Gesicht.
Wer hätte nicht schon das Wunder solcher Verwandlung wahrgenommen? Gibt es doch heilige Gesichter, deren rohe Konturen die edle Seele zur Schönheit umschuf, indem sie ihnen den besondern Ausdruck verlieh, den nur der Geistesadel, die Reinheit erhabener Gedanken zu geben vermag.
Der Anblick solcher Umwandlung, verbunden mit den Schmerzen, die den Körper dieser Frau aufzehrten, war auch bei dem alten Böttchermeister nicht ohne Wirkung – wenngleich sein Herz verhärtet blieb. Seine Rede war nicht mehr wegwerfend und verachtungsvoll, aber sie hatte einem unerschütterlichen Schweigen Platz gemacht, mit dem er seine Würde als Familienoberhaupt zu erhalten suchte.
Erschien seine treue Nanon auf dem Markt, sogleich raunte man ihr einen schlechten Witz über Grandet, eine böse Anschuldigung gegen ihren Herrn in die Ohren; wie sehr aber auch die öffentliche Meinung den Vater Grandet verurteilte, die Magd verteidigte ihn aus Familienstolz, denn sie fühlte sich eins mit der Familie Grandet.
»Wie!« sagte sie zu den Verleumdern, »werden wir nicht alle im Alter streng und bitter? Warum soll gerade dieser Mann sich nicht verhärten? Schweigt also mit euern Anschuldigungen. Unsere Mademoiselle lebt wie eine Königin. Sie ist allein – nun ja, das ist so ihr Geschmack. Und übrigens hat meine Herrschaft wichtige Gründe für das, was sie tut.«
Eines Abends endlich, an einem späten Frühlingstag, bekannte Madame Grandet ihre geheimen Schmerzen den Cruchots. Der Kummer hatte – mehr noch als die Krankheit – ihre Kräfte aufgezehrt, denn es war ihr noch immer nicht gelungen, Eugénie mit ihrem Vater zu versöhnen.
»Ein Mädchen von dreiundzwanzig Jahren auf Wasser und Brot setzen!« rief der Präsident de Bonfons aus, »und ohne Ursache! – das ist ja eine gesetzwidrige Überschreitung des väterlichen Züchtigungsrechts: Mißhandlung ist das! Dagegen kann sie Protest einlegen, und um so mehr, als...«
»Komm, lieber Neffe«, sagte der Notar, »laß dein Gerichtskauderwelsch. Beruhigen Sie sich, Madame, von morgen ab soll diese Gefangenschaft ein Ende haben.«
Als Eugénie hörte, daß man von ihr sprach, kam sie aus ihrem Zimmer herbei. »Messieurs«, sagte sie und trat mit stolzer Bewegung näher, »ich bitte Sie, sich nicht mit dieser Sache zu befassen. Mein Vater ist Herr in seinem Hause. Solange ich dieses Haus bewohne, muß ich ihm gehorchen. Seine Handlungsweise unterliegt weder der Billigung noch der Mißbilligung der Welt, er ist niemandem Rechenschaft schuldig als Gott. Ich erwarte von Ihrer Freundschaft das tiefste Stillschweigen in dieser Sache. Meinen Vater tadeln hieße unsere eigene Würde angreifen. Ich weiß Ihnen Dank, Messieurs, für die Teilnahme, die Sie mir bezeigen; aber Sie würden mich weit mehr verpflichten, wenn Sie das beleidigende Gerede zum Schweigen bringen würden, das in der Stadt in Umlauf ist und von dem ich zufälligerweise Kenntnis erhielt.«
»Sie hat recht«, sagte Madame Grandet.
»Die beste Manier, Mademoiselle, die Welt zum Schweigen zu bringen, wäre die, Ihnen die Freiheit wiederzugeben«, erwiderte der alte Notar ehrerbietig, verblüfft von der Schönheit, mit der die Einsamkeit, die Schwermut und die Liebe Eugénie geschmückt hatten.
»Nun, mein Kind, dann überlaß nur Monsieur Cruchot die Sorge, diese Angelegenheit zu ordnen, da er sich für den Erfolg verbürgt. Er kennt deinen Vater und weiß, wie man ihn nehmen muß. Wenn du mich in der kurzen Zeit, die mir noch zu leben bleibt, glücklich sehen willst, ist es unbedingt notwendig, daß ihr versöhnt seid, du und dein
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