Eugénie Grandet (German Edition)
Eugénie ihrer Mutter das goldene Necessaire ans Bett gebracht. Alle beide erfreuten sich in Grandets Abwesenheit daran, das Bild von Charles' Mutter zu betrachten und darin seinen Zügen nachzuforschen.
»Das ist ganz seine Stirn und sein Mund«, sagte Eugénie, gerade als der Weinbauer die Tür öffnete.
Bei dem Blick, den ihr Mann auf das Gold warf, schrie Madame Grandet auf: »Mein Gott, haben Sie Erbarmen mit uns!«
Der Alte fiel über das Necessaire her, wie ein Tiger über ein schlummerndes Kind. »Was ist denn das hier?« fragte er und ging mit dem Kästchen ans Fenster. – »Gutes Gold! Gold!« rief er. »Viel Gold! Das wiegt seine zwei Pfund. – Aha, Charles hat dir das wohl für deine Goldstücke gegeben, wie? Warum hast du mir denn das nicht gleich gesagt? Das ist ja ein gutes Geschäft, Töchterchen! Du bist also doch meine Tochter daran erkenne ich dich.« Eugénie zitterte an allen Gliedern. »Nicht wahr, das gehört doch Charles?« fuhr der Biedermann fort.
»Ja, mein Vater, es ist nicht mein. Es ist ein heiliges Vermächtnis.«
»Ta ta ta ta! Er hat dein Vermögen genommen; man muß deinen kleinen Schatz wieder füllen.«
»Mein Vater! ...«
Der Geizhals wollte sein Messer nehmen, um eine Goldplatte abzuheben, und war dadurch genötigt, das Necessaire auf einen Stuhl zu stellen. Eugénie näherte sich, um es wieder an sich zu nehmen; aber der Böttcher, der sowohl seine Tochter als auch das Köfferchen fest im Auge behielt, stieß sie heftig zurück, so daß sie auf das Bett ihrer Mutter sank.
»O Monsieur, Monsieur!« rief die Mutter, sich im Bett aufrichtend.
Grandet hatte sein Messer gezogen und machte sich daran, das Gold abzubrechen.
»Mein Vater«, schrie Eugénie und warf sich auf die Knie und rutschte mit erhobenen Händen auf ihn zu, »mein Vater, im Namen aller Heiligen und der heiligen Jungfrau, im Namen Christi, der für uns am Kreuz gestorben ist, bei unserer ewigen Seligkeit, mein Vater, bei meinem Leben, lassen Sie die Hände davon! Dies Necessaire gehört weder mir noch Ihnen; es gehört einem unglücklichen Verwandten, der es mir anvertraut hat, und ich muß es ihm unverletzt zurückgeben.«
»Weshalb hast du es dir denn angeschaut, wenn es hinterlegtes Gut ist? Ansehen ist schlimmer als anrühren.«
»Vater, zerstören Sie es nicht! Sie würden mich ehrlos machen! Mein Vater, hören Sie mich?«
»Monsieur, Erbarmen!« flehte die Mutter.
»Mein Vater!« schrie Eugénie mit so gellender Stimme, daß Nanon entsetzt heraufeilte. Eugénie ergriff mit wildem Sprung ein Messer, das ihr erreichbar war, und bewaffnete sich damit.
»Nun, was soll das?« fragte Grandet ruhig und lächelte kalt.
»Monsieur, Monsieur, Sie töten mich!« sagte die Mutter.
»Mein Vater, wenn Ihr Messer auch nur das kleinste Goidteilchen beschädigt, so ersteche ich mich. Sie haben schon meine Mutter todkrank gemacht, Sie werden auch noch Ihr Kind töten. Nur zu, Wunde um Wunde!«
Grandet, der das Messer schon angesetzt hatte, zögerte und blickte seine Tochter an. »Wärst du wirklich dazu fähig, Eugénie?« fragte er.
»Ja, Monsieur«, sagte die Mutter.
»Sie wird tun, was sie gesagt hat«, schrie Nanon.
»Seien Sie doch vernünftig, Monsieur, wenigstens einmal in Ihrem Leben!« Der Böttcher blickte abwechselnd auf das Gold und auf die Tochter. Madame Grandet wurde ohnmächtig. »Da sehen Sie, Monsieur, die Frau stirbt!« rief Nanon.
»Hier, mein Kind, zanken wir uns nicht um eine Schachtel. Da, nimm!« rief der Böttcher erregt und warf das Necessaire aufs Bett. – »Nanon, geh und hole Monsieur Bergerin. – Vorwärts, Mutter«, sagte er und küßte seiner Frau die Hand, »es ist ja nichts; höre: wir haben Frieden geschlossen. – Nicht wahr, Töchterchen? Kein trocken Brot mehr, du kannst essen, was dir beliebt... Ah! sie öffnet die Augen. – Nun, Mutter, Mütterchen, komm, komm! Sieh, da – ich küsse Eugénie. Sie liebt ihren Cousin, sie mag ihn heiraten, wenn sie will; sie wird ihm das Köfferchen verwahren. Aber bleib du am Leben, mein armes Weib. Komm, rühr dich doch! Hör zu: du sollst den prächtigsten kleinen Altar bekommen, der je in Saumur gemacht worden ist.«
»Mein Gott, wie können Sie Frau und Kind so behandeln!« sagte Madame Grandet mit schwacher Stimme.
»Ich werde es nie wieder tun, nie!« schrie der Böttcher, »du sollst sehen, mein armes Weib.«
Er ging in sein Kabinett und kam mit einer Handvoll Louisdore zurück, die er aufs Bett ausstreute. »Da,
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