Eugénie Grandet (German Edition)
zu kennen. Monsieur, ich beschwöre Sie, seien Sie gütig zu Eugénie!... Damit könnten Sie den Schlag mildern, den Ihr Zorn gegen mich geführt hat, und mir vielleicht das Leben retten. Meine Tochter, Mann! Geben Sie mir mein Kind zurück!«
»Ich räume das Feld«, sagte er; »in meinem Hause ist es nicht mehr auszuhalten. Frau und Tochter haben eine Beredsamkeit, als ob – Pfui, pfui! Eugénie, mir solch ein Neujahrsgeschenk zu machen!« schrie er. »Ja, ja, weine nur! Was du tust, das wirst du noch schmerzlich bereuen. Was nützt es dir, daß du alle Vierteljahr sechsmal das Abendmahl nimmst, wenn du das Gold deines Vaters an so einen Nichtstuer verschleuderst, der dir das Herz zerreißen wird, wenn du ihm nichts anderes mehr zu geben hast. Du wirst ja sehen, was dein Charles wert ist mit seinen Saffianschuhen und seinem Rührmichnichtan-Gesicht. Der hat kein Herz und keine Seele, sonst würde er nicht wagen, einem armen Mädchen hinter dem Rücken der Eltern seinen kleinen Sparschatz zu rauben.«
Als die Haustür ins Schloß fiel, schloß Madame Grandet die Tür zum Zimmer ihrer Tochter wieder auf, und Eugénie setzte sich zur Mutter ans Bett. »Sie haben viel Mut gehabt für Ihr Kind«, sagte sie.
»Du siehst, mein Kind, wohin verbotene Dinge führen!... Du hast mich dazu gebracht, eine Lüge zu sagen.«
»Oh! ich werde Gott bitten, nur mich dafür zu strafen.«
»Ist es wahr«, fragte Nanon, die bestürzt hereinkam, »daß Mademoiselle bis ans Ende ihrer Tage bei Wasser und Brot eingesperrt werden soll?«
»Was tut das, Nanon?« sagte Eugenie ruhig.
»So will ich nie mehr einen Bissen Zukost essen, solange die Tochter des Hauses sich mit trockenem Brot begnügen muß... gewißlich nein!«
»Kein Wort mehr davon, Nanon«, sagte Eugenie.
»Gut, ich will nichts mehr sagen, aber Sie werden sehen!«
Zum erstenmal seit vierundzwanzig Jahren speiste Grandet allein.
»Da sind Sie also Witwer, Monsieur?« sagte Nanon zu ihm. »Das ist recht ungemütlich, Witwer zu sein, wenn man zwei Frauen im Hause hat.«
»Habe ich dich um deine Meinung gefragt? Halt dein Maul, oder ich werfe dich hinaus! Was hast du denn im Topf am Feuer? Ich höre doch etwas kochen.«
»Das ist Fett, das ich auslasse.«
»Heute abend kommt Besuch. Mach Feuer an.«
Die Cruchots, Madame des Grassins und ihr Sohn kamen um acht Uhr und verwunderten sich, weder Madame Grandet noch ihre Tochter zu sehen.
»Meiner Frau ist nicht ganz wohl; Eugenie ist bei ihr«, erwiderte der alte Weinbauer, ohne eine Miene zu verziehen.
Nach einer Stunde gleichgültiger Unterhaltung kam Madame des Grassins, die zu Madame Grandet hinaufgestiegen war, wieder herunter, und jeder fragte sie: »Wie geht es Madame Grandet?«
»Aber gar nicht gut – gar nicht«, sagte sie. »Ihr Gesundheitszustand erscheint mir geradezu beunruhigend. In ihrem Alter muß man ungemein vorsichtig sein, Papa Grandet.«
»So, wir wollen sehen«, erwiderte der Weinbauer zerstreut.
Man verabschiedete sich. Als die Cruchots auf der Straße waren, sagte Madame des Grassins zu ihnen: »Da ist irgend etwas los bei den Grandets. Die Mutter ist sehr krank, mehr vielleicht, als sie selbst denkt. Die Tochter hat rotgeweinte Augen. Hat man sie vielleicht gegen ihren Willen verheiraten wollen?«
Als der Weinbauer zu Bett gegangen war, kam Nanon auf Strümpfen zu Eugénie geschlichen und brachte ihr eine prächtige Pastete. »Hier, Mademoiselle«, sagte das gute Weib; »Cornoiller hat mir einen Hasen gebracht. Sie essen ja so wenig, daß diese Pastete für acht Tage ausreichen wird, und bei dem Frost wird sie auch nicht verderben. Wenigstens sind Sie doch nicht auf trocken Brot angewiesen; denn das ist gar nicht gesund.«
»Gute Nanon!« sagte Eugénie und drückte ihr die Hand.
»Ich habe sie sehr gut zubereitet, und er hat nichts gemerkt. Fett und Lorbeer – alles habe ich von meinem Sechsfrancsstück gekauft; ich war eigenmächtig wie eine Hausfrau.« Dann flüsterte die Magd, denn sie glaubte, Grandet kommen zu hören.
Während mehrerer Monate erschien nun Grandet zu den verschiedensten Tageszeiten bei seiner Frau; nie nannte er den Namen seiner Tochter, nie sah er sie, nie fragte er nach ihr. Madame Grandet verließ ihr Zimmer nicht mehr, und von Tag zu Tag verschlimmerte sich ihr Zustand. Nichts stimmte den alten Böttchermeister nachgiebig. Er blieb kalt, hart und unerschütterlich wie ein Granitfelsen. Er kam und ging und machte Geschäfte wie immer. Aber er stotterte nicht
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