Eugénie Grandet (German Edition)
blickte der Biedermann den Notar an und sagte: »Das Leben ist sehr hart; es bringt viel Leid mit sich. Cruchot«, fuhr er feierlich fort, »Sie wollen mich doch nicht täuschen? Schwören Sie mir auf Ehrenwort, daß das, was Sie mir da erzählen, gesetzlich richtig ist. Zeigen Sie mir das Gesetzbuch! Ich will das Gesetzbuch sehen!«
»Mein armer Freund«, erwiderte der Notar, »ich kenne doch wohl mein Gewerbe.«
»Das ist also wirklich wahr? Ich sollte von meiner eigenen Tochter verraten, beraubt, gemordet werden?«
»Sie ist die Erbin ihrer Mutter.«
»Was hat man denn da von seinen Kindern? Tja! Meine Frau, ich liebe sie. Sie ist glücklicherweise kräftig: eine la Bertellière.«
»Sie hat nicht einen Monat mehr zu leben.«
Der Böttcher schlug sich an die Stirn, sprang auf, lief davon, kam wieder und fragte mit einem grimmigen Blick auf Cruchot: »Was tun?«
»Eugenie könnte rein und ganz auf die Erbschaft ihrer Mutter verzichten. Sie wollen sie ja nicht enterben, nicht wahr? Um aber ein derartiges Zugeständnis zu erhalten, dürfen Sie sie nicht mißhandeln. Was ich Ihnen da sage, mein Alter, ist eigentlich gegen meine eigenen Interessen. Denn was ist mein Amt, wie? ... Liquidationen machen, Inventaraufnahmen, Verkäufe, Teilungen ...«
»Wir werden sehen, wir werden sehen. Reden Sie von etwas anderem, Cruchot. Sie drehen mir das Herz im Leibe um. Haben Sie Gold bekommen?«
»Nein; aber ich besitze ein paar alte Louisdore, zehn Stück, ich werde sie Ihnen geben. Mein guter Freund, schließen Sie Frieden mit Eugénie. Sehen Sie, ganz Saumur wirft den Stein auf Sie.«
»Die Narren!«
»Übrigens, seien Sie einmal zufrieden im Leben: Staatsrenten stehen auf neunundneunzig.«
»Auf neunundneunzig, Cruchot?«
»Ja.«
»He, he! Neunundneunzig!« sagte der Biedermann, als er den Notar bis zur Straße geleitete.
Da er von alledem, was er soeben gehört hatte, viel zu aufgeregt war, als daß er hätte daheim bleiben können, stieg er zu seiner Frau hinauf und sagte: »Also, Mutter, du kannst den Tag mit deiner Tochter verbringen, ich gehe nach Froidfond. Seid fröhlich alle beide! Heute ist unser Hochzeitstag, mein gutes Weib; da, hier hast du zehn Taler für deinen Altar zum Fronleichnamsfest. Du hast ja schon lange einen haben wollen. Also vergnügt euch, seid glücklich, unterhaltet euch gut. Es lebe die Freude!« Er warf seiner Frau zehn Sechsfrancsstücke aufs Bett, nahm ihren Kopf in die Hände und küßte sie auf die Stirn: »Gutes Weib, es geht dir besser, nicht wahr?«
»Wie können Sie denken, in Ihrem Hause den gütigen Gott zu empfangen, solange Sie Ihre Tochter aus Ihrem Herzen verbannen? fragte sie bewegt.
»Ta ta ta ta!« sagte der Vater mit milder Stimme, »wir werden sehen.«
»Gütiger Himmel! Eugénie!« rief die Mutter und errötete vor Freude, »komm, umarme deinen Vater, er verzeiht dir!« Aber der Biedermann war verschwunden. Er eilte, so schnell er konnte, seinen Meierhöfen zu und versuchte Klarheit in seine verworrenen Gedanken zu bringen.
Grandet begann damals sein sechsundsiebzigstes Jahr. Seit zwei Jahren hatte sein Geiz sich besonders verschlimmert, wie alle Leidenschaften im Alter heftiger werden. Wie man dies bei Geizhälsen, bei Ehrgeizigen, überhaupt bei allen Menschen, die ihr Leben ganz einer einzigen, alles beherrschenden Idee hingeben, stets beobachten kann, hatte sich auch sein Gefühl eigentlich nur an ein Sinnbild seiner Begierde gekettet. Gold betrachten, Gold besitzen, das war seine Manie. Auch seine Herrschsucht war mit dem Alter schlimmer geworden; und daß der Tod seiner Frau ihn der freien Verfügung über seinen Besitz – und sei es auch nur über einen Teil seines Vermögens – berauben könne, das erschien ihm geradezu als widernatürlich. Seiner Tochter Rechenschaft ablegen über seine Vermögensverhältnisse, seine gesamte bewegliche und unbewegliche Habe zwecks Aufteilung abschätzen?... »Das hieße, sich selber die Gurgel abschneiden«, sagte er ganz laut inmitten seiner Weingärten, als er die Rebstöcke prüfte.
Endlich faßte er seinen Entschluß. Er traf zur Essenszeit wieder in Saumur ein, mit der festen Absicht, sich vor Eugénie zu beugen und ihr zu schmeicheln, um als König sterben zu können und bis zum letzten Seufzer seine Million in der Hand zu halten.
Der Biedermann, der zufällig seinen Hausschlüssel mitgenommen hatte, schlich mit unhörbaren Schritten die Treppe hinauf. Gerade als er zu seiner Frau ins Zimmer trat, hatte
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