Eulenspiegel
habe ich seit Wochen hier nicht mehr gesehen. Leider! Wir warten nämlich darauf, daß der endlich seinen Krempel aus der Halle räumt.«
Um 18.28 Uhr hörten sie Ackermanns Stimme: »Daniel ist gerade vorgefahren.«
Dann kam Baldwin ins Biedermeierzimmer geschlendert, lässig beide Hände in den Hosentaschen. Langsam wanderte er an der Wand entlang und betrachtete die Gemälde. Kein einziges Mal sah er zu den Vorhängen hin. Er war wirklich gut. Das Bild, das zwischen den beiden Fenstern hing, schien ihn ganz besonders zu fesseln.
Da hörten sie Ackermann fassungslos keuchen. Dann sein heiseres: »Achtung!«
»Dieser tolle Doktor hat doch hier längst schon seine Kündigung gekriegt«, erklärte der Mann van Gemmern. »Was der nicht alles erzählt hat von verbesserter Lasertechnik und verschiedenen Oberflächen und Zusammenarbeit mit der DFG. Alles nur heiße Luft. Wollen Sie sich das angebliche Labor mal ansehen? Ich habe den Schlüssel.«
Van Gemmern staunte: In der Halle stand praktisch nichts; ein gekachelter Tisch mit einem steinalten Laser, eine Kabeltrommel. Alles war dick verstaubt, auch der Fußboden. Eine Trittstraße führte zu einem Kabuff rechts hinten. »Ist das sein Büro?«
»Wenn Sie es so nennen wollen. Sie können da ruhig rein. Habe ich keine Probleme mit. Der Kerl ist für mich sowieso gestorben.«
Auch im Büro gab es nicht viel zu sehen. Ein leerer Schreibtisch, zwei Regalbretter. Auf dem einen standen, sicher in vierzigfacher Ausführung, Rothers Dissertationen. Auf dem anderen ein paar Aktenordner. Van Gemmern nahm den ersten, der mit Korrespondenz gekennzeichnet war, heraus: Bettelbriefe an den Forschungsminister, an das Wirtschaftsministerium, an verschiedene Forschungsgesellschaften, blumige Beschreibungen seines »Projekts«, knappe Absagen, Formbriefe.
Der Mann redete immer noch ohne Punkt und Komma, aber van Gemmern hörte nur mit halbem Ohr hin. »Zuerst hat Rother mir ja noch leid getan. Der hat ja wirklich mal was auf dem Kasten gehabt. Zwanzig Jahre lang sein Lebenswerk aufgebaut, ein AKW, das nicht in Betrieb genommen wurde. Und dann durfte er das Ding auch noch über Jahre wieder abbauen. Der hat gut und gerne dreißig Jahre hart gearbeitet, sein ganzes Arbeitsleben – an … nichts. Wie gesagt, anfangs hat er mir noch leid getan, aber jetzt? Der ist total bekloppt, wenn Sie mich fragen.«
Van Gemmern schlug den nächsten Ordner auf: aufgeklebte Zeitungsartikel, sorgfältig in Prospekthüllen gepackt. Er blätterte müßig, bis er auf den großen Artikel über Helmut Toppe, den alten Hasen, stieß. Erst dann blätterte er zurück und fand sie alle: Birkenhauer, Geldek, Glöckner, Bergfeld – und wieder Toppe.
Er drückte dem verblüfften Mann den Ordner in die Hand und sprintete zu seinem Auto.
Lautlos betrat er den Raum.
Baldwin betrachtete das Gemälde zwischen den Fenstern.
Schritt für Schritt kam er näher. Als er die Hand mit dem weißen Lappen hob, schlug Toppe den Vorhang zur Seite.
»Guten Abend, Herr Rother.«
Da war kein Schrecken, nicht einmal Überraschung in seinem Gesicht. Bedächtig fuhr seine rechte Hand in den grauen Mantel, zog die Pistole hervor. Seine Augen waren ausdruckslos, als er anlegte. Er lächelte.
Toppe zog seine Waffe, aber da fiel schon der Schuß.
Rother sackte zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Sein Mantel war aufgeklappt. In beiden Innentaschen steckten rote Lackpumps.
Das Loch in seiner Brust war ungewöhnlich groß. Er atmete nicht.
Baldwin schüttelte bekümmert den Kopf, aber Wim Lowenstijn zuckte nur kurz mit den Schultern, schraubte den Schalldämpfer ab und steckte seine Waffe wieder ein.
Ackermann erschien in der Tür, dann Astrid.
Im Saal brandete Beifall auf. Der Vorsitzende hatte die Veranstaltung eröffnet.
Daniel Baldwin rückte seine Krawatte zurecht und knöpfte das Jackett zu. Dann stieg er über Rothers Körper hinweg und ging gemessenen Schrittes zur Tür und die Treppe hinauf.
Oben im Saal wurde es still, und jeder hörte ihn: »Meine liebe Freunde, verehrte Herrschaften. Ick weiß, meine Duits ist nickt perfekt, aber ick bin sicher, wir können entlang kom m en …«
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