Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
Präsidentschaft viel bewirken, wie man an dem Beispiel der Portugiesen, die die Lissabon-Agenda entworfen haben, oder dem der Luxemburger in Bezug auf die Beschäftigungsrichtlinien erkennen kann.
Einfache Bürger sind sich dieser »institutionellen Balance« kaum bewusst. Vielmehr sehen die Menschen ein verwirrendes Wesen namens »Europa«, das mehr und mehr Macht an sich reißt, die es nicht wieder aufzugeben bereit ist. Sie betrachten dieses Europa als etwas, das sich in Angelegenheiten einmischt, welche Douglas Hurd einmal denkwürdig als »Schlupfwinkel« des täglichen Lebens bezeichnete, aus denen sich Europa – mit Recht – heraushalten sollte.
Dieses ist zwar eine verzerrte Beschreibung der tatsächlichen Funktionsweise der EU, aber sie beinhaltet genug Wahrheit, um zu zeigen, warum die offene Verfassungsdebatte über ihre Regierungsform und die relative Balance zwischen dem Handeln auf der EU-Ebene und dem der Mitgliedstaaten, die der Europäische Reformkonvent und die anschließende Regierungskonferenz geführt hatten, unbedingt nötig war und ist.
Der Vertrag von Maastricht setzte einen viel stärkeren Akzent auf Subsidiarität. Seitdem hat die Kommission mehr Selbstdisziplin geübt in Bezug darauf, wo und wie sie gesetzgeberisch tätig wird. Leistungsvergleiche und komparative Gruppenüberprüfungen werden jetzt als legitime nichtgesetzgeberische Werkzeuge der Integration akzeptiert, wie z. B. die Luxemburger
Beschäftigungsrichtlinien und die Lissabonner Schlussfolgerungen. Es hat jedoch keine Anstrengungen gegeben, den existierenden acquis kritisch unter die Lupe zu nehmen, um herauszufinden, wo Befugnisse an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden können. Auch der Europäische Reformkonvent hat vermieden, diese gewaltige Aufgabe zu lösen. Im Hinblick darauf, wo die Gesetzgebung und die Regulierungen vereinfacht und weniger lästig für die Nationalstaaten gemacht werden kann, bietet der neue Impuls in Richtung »good governance«, um den sich ein Konsens aufgebaut hat, eine wirkliche Gelegenheit, diese Agenda voranzubringen.
Was neue EU-Gesetzesinitiativen betrifft, so waren es bisher die supranationalen Institutionen selbst, die über Subsidiarität und Proportionalität der von der Kommission vorgeschlagenen Gesetzesinitiativen geurteilt haben. Das im Verfassungsvertragsertrag verankerte Recht der nationalen Parlamente, die Initiativen der Europäischen Kommission zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses zu überprüfen, ist in dieser Hinsicht eine wichtige, einige würden sogar sagen eine revolutionäre Verbesserung.
Die Rolle des Europäischen Parlamentes soll nicht herabgewürdigt werden, wenn ich sage, dass die Antworten auf Europas Verfassungsdilemma nicht gänzlich bei ihm liegen können. Das EP hat beträchtliche Stärken im Vergleich zum britischen House of Commons hinsichtlich Überwachung der Exekutive, Verantwortlichkeit für den Haushalt und Einfluss auf gesetzgeberische Details. Aber das EP selbst kann die Demokratiedefizite nicht überwinden.
Die Wahlen zum EP haben es nicht geschafft, ein echtes öffentliches Interesse zu wecken, denn die Wahlergebnisse spiegeln lediglich den nationalen politischen Tagestrend wider. Kritiker meinen, das EP versuche, seine eigene schwache Legitimität dahin gehend zu kompensieren, »mehr Europa« von der Kommission zu verlangen, wobei es das Risiko eingeht, dass es die Kommission immer weiter in eine realitätsferne Richtung drängt.
Auf der anderen Seite sind die Föderalisten der Meinung, dass das Europäische Parlament umfangreichere Kompetenzen braucht. Es kann derzeit einzelne Kommissare nicht für ihr Handeln zur Rechenschaft ziehen. Das Parlament spielt zwar inzwischen eine wichtige Rolle bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten, beeinflusst damit aber nicht den politischen Charakter der »Regierung« Europas. In Ermangelung dieser Befugnisse ist es nur folgerichtig, dass europäische Wahlkämpfe ruhig verlaufen, auf nationale Themen aufbauen und von den meisten Wählern als überflüssig betrachtet werden.
Aber Europa kann einen derart mutigen föderalistischen Sprung noch nicht verkraften. Die Entscheidung des Europäischen Parlamentes im
März 1999, die Santer-Kommission zu entlassen, hat die europäische Öffentlichkeit nicht aufgerüttelt und den Charakter der Europawahl im Juni 2004 nicht dramatisch verändert. Vielmehr führte es zu einem Schulterzucken in der europäischen Bevölkerung. In Ermangelung eines europäischen
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