Europa-Handbuch - Europa-Handbuch
werden dürfen und eine grenzübergreifende Umstrukturierung der Verteidigungsindustrie ermöglicht werden muss.
Wohlstand, Sicherheit und Stärke sind die Bereiche, in denen wir »mehr Europa« brauchen und in denen in den nächsten zehn Jahren die europäische Integration vorangetrieben werden muss. Vielleicht wollen sich nicht alle Mitgliedstaaten am Anfang an diesen Schritten beteiligen oder fühlen sich dazu nicht in der Lage. Für diese Mitgliedstaaten ist es wichtig, dass die Möglichkeit einer verstärkten Zusammenarbeit vorhanden ist, vorausgesetzt eine solche Zusammenarbeit steht allen Mitgliedstaaten für eine Kooperation zu einem späteren Zeitpunkt offen.
Mithilfe einer starken Führung kann die öffentliche Meinung in Großbritannien dazu gebracht werden, den Vorteil von »mehr Europa« einzusehen. Ich bin davon überzeugt, dass Großbritannien in Europas »Erster Liga« vertreten sein kann, solange die Integration unseren nationalen Interessen dient, solange es einen deutlichen Zusammenhang mit Arbeitsplätzen und Wohlstand gibt und solange Europa als Chance und nicht als Bedrohung aufgefasst wird. Gleichzeitig aber muss die Misstrauenslücke hinsichtlich der Weiterentwicklung der EU geschlossen werden. Was sind die Gründe für diese Kluft zwischen der europäischen politischen Elite und den einfachen Wählern?
Es gibt keine eindeutige Erklärung. In der modernen Welt haftet allen Politikern der Verdacht an, sie seien unerreichbar und realitätsfern. Wenn dies auf die nationale Politik zutrifft, um wie viel größer muss dies eine Gefahr für europäische Institutionen sein, die ja zwangsläufig noch viel unerreichbarer, komplexer und in ihrer Verantwortlichkeit weniger transparent sind als nationale Institutionen. Aber ich denke, es lassen sich drei Gründe für die öffentlichen Zweifel an Europa ausmachen.
Erstens: In Großbritannien gibt es begriffliche Vorbehalte gegenüber der politischen Natur des europäischen Projektes, wobei das wahre Wesen dieser Zweifel gemeinhin missverstanden wird. Euroskeptiker behaupten gerne,
die Befürworter Europas hätten versucht, die wahren politischen Ziele der europäischen Integration zu verheimlichen. Als historisches Argument für das, was in den frühen 1970er Jahren in Großbritannien passierte, ist dies Unsinn. Natürlich haben Wirtschaftsfragen in den Plädoyers für Europa immer eine große Rolle gespielt, aus dem einfachen Grund, weil sie sehr wichtig sind. Aber für die Generation meines Vaters waren zur Zeit unseres Beitrittes auch die politischen Argumente wichtig – die Aussicht auf einen garantierten Frieden in Europa und die Ansicht, dass, nachdem Großbritannien seinen Weltreichstatus verloren hatte, wir uns an eine neue europäische Rolle anzupassen hatten, um unseren Einfluss in der Welt zu bewahren.
Die Briten stehen einer politisch aktiven EU nicht unbedingt ablehnend gegenüber. Sie waren sogar zu Idealismus über ein großes, vereinigtes und freies Europa fähig. Der politische Einwand ist vielmehr ein anderer. Sie sind gegen weitere Integration, weil sie der Meinung sind, die EU habe eine eingebaute Tendenz zur Zentralisierung – das so genannte Fließband hin zu einem Superstaat. Sich diesem Problem zu stellen wird ein Schlüsselthema sein, heute wie in Zukunft.
Zweitens: Den meisten europäischen Entscheidungen mangelt es an sichtbarer demokratischer Legitimität: Der Kommission fehlt es an Verantwortlichkeit; das Europäische Parlament (EP) hat ein schlechtes öffentliches Image, und die Alltagsarbeit, die der Rat als Stimme der Mitgliedstaaten leistet, findet im Dunkeln statt. Die Bürger können nicht nachvollziehen, wie Europa funktioniert. Im Fernsehen sehen die Menschen lediglich Bilder von pompösen europäischen Versammlungen, die kaum einen erkennbaren Zweck haben. Man sieht »Brüssel« als etwas, das von Bürokraten geleitet wird und nicht von Politikern, die einer demokratischen Kontrolle unterliegen.
Drittens: Die EU scheint nicht zu halten, was sie verspricht. Wie wir gesehen haben, verstehen sich die Schlüsselprioritäten für das heutige Europa von selbst. Eine erfolgreiche Abarbeitung dieser Prioritäten wäre der Weg, auf dem sich die EU am besten für die europäische Öffentlichkeit nützlich machen könnte. Doch die zentralen politischen Prioritäten der EU haben sich im Nebel eines Europas verloren, das versucht, zu viel auf einmal zu bewirken. Die jetzigen institutionellen Strukturen der Union sprechen
Weitere Kostenlose Bücher