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ausgelöst hatte und für weitere, ebenso verkommene Verbrechen. Ich wohnte dem Prozess bei; ich weiß noch, wie Hilde Benjamin am Pult stand und es umklammerte, als sie sich in Richtung Mikrofon beugte und rief: Keine Freiheit den Feinden der Demokratie!
Als man das faschistische Reptil Wolff aufrief, sich zu verteidigen, wies es darauf hin, dass es kein Motiv besessen habe, Epidemien zu verursachen.
Da erwiderte die Rote Guillotine: Da haben Sie Ihr Motiv – Unruhen auslösen.
Und sie verurteilte ihn zum Tode, zum Tode, zum Tode.
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Im Jahr 1955 war sie schon so dick und formlos wie ein Frosch; ich sah sie vor den Albanern die schiefen Zähne blecken. Am 8.3.55, nicht ganz eine Woche, bevor wir Paul Köppe zum Tode verurteilten, bestätigte das Politbüro das Urteil (die Bourgeoisie macht das verkehrt herum). Am selben Tag, als sich der Generalstaatsanwalt im Rudloff-Prozess für Milde aussprach, intervenierte die Rote Guillotine, um die Gesellschaft vor diesem vierfachen Mörder zu schützen.
Ich habe sie einen kurzen hellen Trenchcoat tragen sehen, mit unbedecktem Kopf und nackten Knien, die Hände in den Taschen, wie sie verbissen hinter dem Genossen Ulbricht einherschreitet, dessen Mantel viel länger ist und der einen steifen Hut trägt, fast wie ein Kapitalist; den rechten Arm hat er zum militärischen Gruß erhoben, die Messerschneide seiner Hand an die Hutkrempe gelegt, und so schreiten die
Rote Guillotine und er den regennassen Asphalt von Potsdam ab, ohne direkt auf die Spiegelbilder der Köpfe der Soldaten mit den präsentierten Gewehren zu treten, die ihnen in einer langen Reihe die Gesichter zuwenden; alle salutieren, außer der Roten Guillotine.
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Als wir im Mai '55 Karl-Ernst Hahn und Alfred Rzepio für ihren Mordversuch an einem Taxifahrer enthaupteten, ein Verbrechen, zu dem sie von US -amerikanischen Gangsterfilmen verleitet worden waren, rief die Rote Guillotine: Wie der Genosse Mielke festgestellt hat: Sie haben sich selbst aus der Arbeiterklasse ausgestoßen!, und unsere demokratischen Juristen, die eng mit den Sicherheitsorganen unseres wiedergeborenen Deutschland zusammenarbeiteten, verweigerten ihre Mitwirkung nicht. Mit gespreizten, aufwärtsgerichteten Fingern, die Lippen ernsthaft geöffnet, stand sie in tiefer Aufrichtigkeit am Mikrofon und verlangte noch einen Tod, noch einen Tod.
Sie hatte nun etwas Müdes an sich, wie ein gut gefüttertes heiliges Krokodil, das immer mit dem nächsten Menschenopfer rechnen konnte. Manchmal öffnete sie die Augen nur halb. Gelegentlich gähnte sie (nach all den Entbehrungen wird die arme Genossin Benjamin alt!) und unterbrach den Angeklagten mit erhobenem Zeigefinger anstatt einem zornigen verbalen Angriff. Aber wenn er es wagte, sich zu verteidigen anstatt zu gestehen, oder, schlimmer noch, ihr widersprechen wollte, dann konnte die Rote Guillotine noch immer zuschlagen! Als wir am 14.9.55 die ehemaligen Stasiagenten Susanne und Bruno Krieger wegen Spionage gegen unseren Staat liquidierten, jubelten die Massen wie Arbeiter in der Arktis, die in einem Film von Roman Karmen die behandschuhten Fäuste zum Gruß erhoben. Trotzdem waren manche enttäuscht; die Rote Guillotine hatte ihnen kein großes Theater geboten. Vielleicht weil die Kriegers nicht für sich einstanden. (Susanne Krieger hatte geglaubt, man werde sie nicht enthaupten, wenn sie andere belastete. Wir haben keine Veranlassung, uns im Umgang mit solchen Menschen an Abmachungen zu halten.)
Als wir uns im gleichen Monat wegen Sabotage des Direktors Nellis vom VEB Elektrowerke » JW Stalin« entledigten, platzierte sich die technische Leiterin der Fabrik im Gerichtssaal, um seinen ehemaligen Kollegen Bericht zu erstatten. Sie sah mit an, wie sich Freude auf dem runden, derben Gesicht der Rote Guillotine ausbreitete, wie sie zu lächeln begann und Direktor Nellis anprangerte, bis er ganz klein war. Sie ver
langte den Tod, den Tod, den Tod. Wie konnten wir ihr diese kleine Freude abschlagen?
Im Januar '56 enthaupteten wir die faschistischen Agenten der USA Werner Rudert und Max Held. Als das Politbüro ihre Strafen bestätigte, war ihr Lächeln so süß und fett wie eines unserer Fresspakete für die Intelligenz! Dann hielt sie an ihrem Schreibtisch ein Nickerchen, schnarchte und grinste.
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Am 4.11.56 traf sie zu Beginn des Hagen-Prozesses um 07:55 im Gericht ein. Nikolai aus Stalingrad lächelte ihr zu und ließ sein Stahlgebiss aufblitzen; sein Gruß nahm ihr jedes Mal kurz
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