Eva schläft - Melandri, F: Eva schläft - Eva dorme
gebilligte Verhütungsmethode anzuwenden.
Und nun gibt mir Carlo zum Abschied einen Kuss (nicht auf die Stirn!), um dann nach Hause zu fahren. In sein Zuhause.
Natürlich kommt es vor, dass ich darauf angesprochen werde. Meistens ist es eine Sie, die glaubt, mir mitteilen zu müssen, dass ich ihr leidtue. »Wie hältst du das nur aus, so lange schon mit einem verheirateten Mann zusammen zu sein?«, werde ich gefragt. Und viele, fast alle, setzen hinzu: »Also, ich könnte das nicht, nie im Leben.«
Und jedes Mal brauche ich wieder einen Moment, um mich daran zu erinnern, dass manche Leute meine Situation unmöglich finden. Traurig, wenn nicht hoffnungslos. Ulli aber hätte mich das nie gefragt. Er wusste es: Es gibt nur einen einzigen Menschen, an den ich mich gebunden fühle, zu dem ich ganz gehören kann, ohne deshalb das Gefühl zu haben, in glitschigem Morast zu versinken, in Sümpfen, die ich nicht kenne. Er ist auch der einzige Mensch, den ich, falls es notwendig sein sollte, umsorgen und pflegen könnte, ohne mich deswegen wie eine Gefangene zu fühlen. Und dieser Mensch ist kein Mann.
Gegen sieben schaut noch Zhou vorbei, um mir Hallo zu sagen. Zehn Jahre, zwei Zöpfchen mit kleinen Plastikerdbeeren daran, ein wackelnder Backenzahn. Und Mandelaugen wie eine Chinesin, was sie ja auch ist. Und sie ist sehr gut in der Schule. Ihr Lieblingsfach: Geometrie.
»Ich hab Licht gesehen und mir gedacht, dass du wieder da bist«, begrüßt sie mich in ihrem venetischen Dialekt.
Nur ein paar Wochen habe ich sie nicht gesehen, aber sie anzuschauen, während sie redet, stürzt mich wieder in die gleiche Verwirrung wie ganz zu Anfang. Es ist, als sehe man einen Bruce-Lee-Film, der von einem Chor italienischer Gebirgsjäger synchronisiert wird.
Signor Song, ihr Vater, war Eigentümer einer Schuhfabrik in Shandong in Südchina, die er Ende der achtziger Jahre an einen Parteifunktionär verkaufte. Gesamterlös aus dem Verkauf der ganzen Anlage, also des Fabrikgebäudes, der Maschinen sowie der bereits lieferfertigen Waren: zwei gültige Reisepässe für die Ausreise, einen auf ihn selbst ausgestellt, den zweiten auf seine Frau. Als Andenken an China sowie seine dort einst sehr angesehene Familie konnte er nur eine hübsch verzierte Holzkiste mitbringen, die alles Notwendige für die Aufzucht von Kampfgrillen enthält, eine Art Volkssport in der Provinz Shandong, den sein Vater mit Leidenschaft betrieb.
Über Umwege gelangten die Songs nach Italien, zunächst nach Triest, dann nach Padua, wo ihre drei Kinder zur Welt kamen, und schließlich nach Südtirol. Hier wohnte Signor Song, als man ihn anlässlich der Volkszählung im Jahr 2001 aufforderte, eines der drei Felder auf dem Fragebogen anzukreuzen: Italienisch, Deutsch oder Ladinisch. Eine andere Möglichkeit war nicht vorgesehen, nur diese drei Volksgruppen werden in Südtirol anerkannt. Auch um in den Genuss der Vergünstigungen dieser italienischen Region mit dem Sonderstatus zu kommen, hatte er ein Formular auszufüllen und zu unterschreiben, in dem nach seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachgruppe gefragt wurde. Überschrieben war das Formblatt auf Deutsch mit dem Wortungetüm: Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung .
Signor Song, so hat er es mir selbst erzählt, betrachtete lange dieses Wort. Sechsunddreißig Buchstaben. Elf Silben.
Obwohl in vielen Sprachen zu Hause (Italienisch, Englisch, Mandarin und mittlerweile auch ein wenig Deutsch), ist seine Muttersprache der Dialekt von Shandong: eine tonale, vor allem aber einsilbige Sprache. Zum ersten und vielleicht auch einzigen Mal in seinem Leben ließ er die pragmatischen Aspekte dieses Problems außer Acht und reagierte aus dem Bauch heraus: Niemals würde er sich zum Sprecher einer Sprache erklären, die es schafft, aus sechsunddreißig Buchstaben und elf Silben nur ein einziges Wort zu bilden. Kurz erwog er dagegen die Möglichkeit, »Ladiner« anzukreuzen: Von diesem abgeschieden lebenden Völk- chen wusste er wenig, doch flößte es ihm eine vage Sympathie ein. Allerdings hatte er nicht vor, ins Grödnertal oder ins Gardertal zu ziehen, den einzigen Gebieten, wo dieses Sprachbekenntnis ihm deutliche Vorteile gebracht hätte.
Und so ist Zhou heute, ebenso wie ihre Eltern und ihre größeren Geschwister, in jeder Hinsicht eine Angehörige der italienischen Volksgruppe. Plappernd, mit ihrem Akzent wie aus einer Osteria in Padua oder Triest, leistet sie mir Gesellschaft, während ich noch den Rest
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