Everlasting
Lichts, meiner Liebe. Würde ich einen Weg zu ihr zurück finden oder nicht? Wäre Rouge in der Lage, uns zu helfen?
Es war Juli, und die kanadischen Wälder waren voller Erinnerungen an Mannu und meinen Vater und unsere alljährlichen Reisen in die Kolonie. Manchmal machte ich mit dem kleinen Colin einen Spaziergang, während Raoul arbeitete. Einmal kochten wir Polenta – «Ja», sagte ich, «dieser Mann kann das» –, ein anderes Mal schlüpften wir in alte Tarnumhänge und spielten Verstecken, und an einem Nachmittag zeigte ich ihm an dem Teich hinterm Haus, wie man Steine übers Wasser hüpfen lässt.
An einem kühlen verregneten Vormittag, als der Juli fast drei Wochen alt war, kam Raoul mit Colin zu mir ins Atelier. «Die Seiten, die du mir geschickt hast, sind fertig», sagte er und hielt eine Mappe hoch.
Ich hatte fast vergessen, dass ich ihm Teile aus Elianas Tagebuch geschickt hatte, die Seiten mit ihren Tagebucheinträgen während und nach der Zeit meines letzten Besuches.
«Entschlüsselt und übersetzt», sagte Raoul. «Ich habe sie auf dein Brain-Dings geschickt. Wenn du die Kolonie verlässt, bekommst du sie. Willst du diese Hardcopy noch haben?»
Ich muss gestehen, es juckte mich in den Fingerspitzen, die Mappe an mich zu nehmen. Aber ich wehrte ab. Es kam mir zu sehr wie ein Vertrauensbruch vor. «Nein, ist schon in Ordnung», sagte ich. «In der B B-Inbox sind sie gut aufgehoben.» Ich schaute Colin an. «Will hier jemand eine Berryola?»
«Ich, ich!», rief Colin und bat, mit meinem Füllhalter spielen zu dürfen. Er konnte jetzt seinen Namen schreiben und saß manchmal stundenlang da und malte Linien und Buchstaben. Er streckte sich auf dem Boden aus und kritzelte los.
«Da geht’s ganz schön zur Sache», sagte Raoul und klopfte auf die Mappe mit den übersetzten Tagebucheintragungen.
«Zur Sache?», fragte ich, während ich Colins rosa Berryola mixte.
«Geil. Echt geil.» Er blickte auf Colin und senkte die Stimme. «Unter uns Erwachsenen: Manche Stellen haben mich ernsthaft scharfgemacht.»
«Ach ja?»
«Na ja. Vielleicht sollte ich gar nicht mit dir über so was reden.»
«Warum denn nicht?»
«Ich meine, ihr Städter steht ja nicht so darauf. Klar, ihr tut es, natürlich, wenn ihr die Zeit dafür findet, aber es ist doch eher so was wie eine Pflichtübung. Oder?»
«Wir sind keine gefühlskalten Automaten, Raoul.»
«Sorry. War nicht böse gemeint.»
Als ich Colin sein Getränk brachte, sah ich, dass er ein ganzes Blatt Papier mit seinem Namen gefüllt hatte: dicke fette Buchstaben. Er sah zu mir hoch und lächelte so zufrieden, dass ich mich bückte und ihn umarmte. Er hielt sich an mir fest. «Du riechst gut», sagte er.
Vielleicht war es das Everlasting von meinem Kissen. «Wie denn?», fragte ich.
Er drückte die Nase an meinen Hals und atmete ein. «Als könnte ich dich für immer und ewig umarmen.»
Die Sonne lugte durch die Wolken und fiel auf das Gesicht des kleinen Colin. Seine Augen leuchteten auf, und ich sah verwundert, dass sie ein strahlendes Türkis angenommen hatten. Türkisfarbene Augen. Das war mir noch nie aufgefallen. Sie erinnerten mich an –
«Hey!», sagte Raoul. «Krieg
ich
keine Berryola?»
«Doch.» Ich ging wieder zur Küchentheke, um uns rote Berryolas zu machen. Als ich mich mit den beiden Gläsern in der Hand umdrehte, starrte mich Raoul immer noch an. «Was denn?», sagte ich. «Was hast du?»
«Ach, nichts.» Er trank einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. Die Berryola hinterließ einen dicken roten Schnurrbart auf seinem gebräunten Gesicht, den er mit der Zunge ableckte. Er fing meinen Blick auf und klopfte auf die Mappe. «Bist du sicher, dass du nicht mal ein bisschen darin rumschmökern willst? Es ist wirklich interessant.» Er öffnete die Mappe. «Diese junge Frau ist irre verliebt. Und anscheinend auch glücklich. Sie beschreibt diesen Typen, Swen.» Er sah mich an. «Er erinnerte mich an dich.»
Ich schluckte. «Inwiefern?»
«Sie beschreibt, wie er aussieht. Sein Haar, seine Haut, sein Bizeps.» Seine Augen richteten sich auf die Stoppeln an meinem Kinn, auf das einzelne lange borstige Haar. «Na ja. Es ist nicht bloß sein Aussehen. Es ist auch sein Auftreten. Seine Aura – und was er sagt. Wie er es sagt.»
«Hm», sagte ich unverbindlich.
«Sie schreibt nett über ihn. Und sie ist gut. An einer Stelle musste ich an Carmine denken.»
«So? Wo denn?»
Er blätterte die Seiten durch. «Nur ein Satz, ja? Darf ich
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