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Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts

Titel: Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gray
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hatte. Ich hatte mich nie für besonders materialistisch gehalten, aber es war doch ein ganz schöner Schlag gewesen, beinahe alles verloren zu haben, was ich je besessen hatte. Dadurch waren mir die wenigen Dinge, die mir geblieben waren, noch viel wichtiger geworden.
    Als Kate »Licht aus« brüllte, legte irgendjemand fast im selben Moment den Schalter um. Ich vergrub mich unter der dünnen Armee-Decke, die auf meinem Faltbett lag. Sie war nicht weich, und es war alles andere als gemütlich – Feldbetten sind wirklich schlimm! –, aber ich war so erschöpft, dass mir jede Gelegenheit, mich auszuruhen, gerade recht kam.
    Links neben mir lag Raquel; sie war bereits eingeschlafen. Sie schlief hier besser, als es je in Evernight der Fall gewesen war.
    Rechts neben mir, verborgen von den sich träge bauschenden, weißen Laken, war mein lieber Lucas.
    Ich malte mir die Umrisse seines Körpers aus und stellte mir vor, wie er aussah, wenn er sich auf seinem Feldbett ausgestreckt hatte. In meiner Fantasie schlich ich auf Zehenspitzen zu ihm hinüber und schlüpfte zu ihm unter die Decke. Aber man würde uns dabei beobachten können. Und so seufzte ich nur und verabschiedete mich von der Vorstellung.
     
    Es war die vierte Nacht in Folge, in der ich solchen Wunschträumen nachhing. Und es war ebenso wie in allen Nächten zuvor: Als ich erst mal aufgehört hatte, frustriert zu sein, weil ich nicht bei Lucas sein konnte, begann ich damit, mir Sorgen zu machen.
    Mom und Dad wird es schon gut gehen , sagte ich mir. Ich erinnerte mich an die Feuersbrunst nur zu gut und sah die Bilder von den tosenden Flammen rings um mich herum und den dichten Rauch noch deutlich vor mir. Es wäre so leicht gewesen, sich zu verirren und vom Feuer eingeschlossen zu werden. Feuer gehörte zu den wenigen Dingen, die einen Vampir wirklich und endgültig töten können. Sie haben jahrhundertelang Erfahrungen gesammelt. Sie haben schon in schlimmeren Schwierigkeiten gesteckt. Erinnerst du dich noch, was Mom vom Großen Feuer in London erzählt hat? Auch da hat sie es geschafft zu entkommen, also wird ihr auch die Flucht aus Evernight gelungen sein .
    Aber Mom war dem Großen Feuer nicht schadlos entkommen. Sie war entsetzlich verletzt worden und dem Tode nah, und mein Vater hatte sie »gerettet«, indem er sie zum Vampir gemacht hatte, wie er selbst einer war.
    In letzter Zeit war ich mit meinen Eltern nicht besonders gut ausgekommen, aber deswegen wollte ich natürlich noch lange nicht, dass ihnen etwas zustieß. Allein beim Gedanken daran, dass sie angeschlagen und verletzt sein könnten – oder Schlimmeres –, wurde mir ganz flau im Magen.
    Sie waren nicht die Einzigen, um die ich mir Sorgen machte. Hatte Vic es geschafft, aus der brennenden Schule zu entkommen? Und was war mit Balthazar? Als Vampir war er vielleicht zur Zielscheibe des Schwarzen Kreuzes geworden. Oder er war seiner durchgedrehten, rachsüchtigen Schwester Charity in die Fänge geraten, die es beinahe geschafft hätte, Lucas’, Raquels und meine Flucht zu vereiteln. Oder was war mit dem armen Ranulf? Er war ein Vampir, aber so sanft und weltfremd, dass man sich leicht vorstellen konnte, wie ihm die Jäger des Schwarzen Kreuzes den Garaus machen würden.
    Ich wusste von niemandem, wie es ihm ergangen war. Vielleicht würde ich es auch nie erfahren. Als ich mich dazu entschlossen hatte, mit Lucas davonzulaufen, hatte ich diese Ungewissheit in Kauf genommen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es mir damit auch gut ging.
     
    Mein Magen knurrte, denn er wollte mit Blut versorgt werden.
    Stöhnend wälzte ich mich auf meinem Feldbett hin und her und betete um Schlaf. Das war die einzige Möglichkeit, meine Ängste und den Hunger zum Verstummen zu bringen, wenigstens für ein paar Stunden.
     
    Ich streckte die Hand nach der Blume aus, doch gerade als meine Fingerspitzen die Blütenblätter berührten, wurden diese schwarz und verwelkten.
    »Nicht für mich«, flüsterte ich.
    »Nein. Es wartet etwas viel Besseres«, antwortete der Geist.
    Wie lange war das geisterhafte Mädchen schon da? Mir kam es vor, als sei es schon immer an meiner Seite gewesen. Zusammen standen wir auf dem Gelände der Evernight-Akademie, während sich die dunklen Wolken über unseren Köpfen zusammenballten. Der Wind blies mir Strähnen meiner roten Haare ins Gesicht. Einige Blätter, die der Sturm zusammengefegt hatte, wurden durch den aquamarinblauen Schatten des Geistes hindurch zu uns geblasen.

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