Evernight Bd. 3 Hüterin des Zwielichts
spielt das schon für eine Rolle?« Raquel strich sich die Erdnussbutter auf ihre Brotscheibe, als wäre es Kaviar. Seit vier Tagen lächelte sie ununterbrochen, nämlich seit dem Moment, als das Schwarze Kreuz verkündet hatte, uns aufzunehmen. »Wir essen also nicht jeden Abend in einem schicken Restaurant. Na und? Wir machen gerade etwas Wichtiges. Etwas, das wirklich zählt.«
»Im Augenblick verstecken wir uns die meiste Zeit über in einem Lagerhaus und essen drei Mal am Tag Sandwiches mit Erdnussbutter ohne Marmelade«, stellte ich richtig.
Doch Raquel blieb völlig unbeeindruckt davon. »Das ist Teil des Opfers, das wir bringen müssen. Die Sache ist es wert.«
Liebevoll zerstrubbelte Dana Raquels kurze, schwarze Haare. »Du klingst wie ein richtiger Neuling. Mal sehen, was du in fünf Jahren dazu sagst.« Raquel strahlte. Sie war begeistert von der Vorstellung, fünf Jahre beim Schwarzen Kreuz zu bleiben oder auch zehn Jahre oder ihr ganzes Leben lang. Raquel war in der Schule von Vampiren verfolgt und zu Hause von Geistern heimgesucht worden, und nun wollte sie nichts lieber, als irgendeinem übernatürlichen Wesen die Hölle heißmachen. So seltsam und entbehrungsreich, wie die letzten vier Tage auch gewesen sein mochten – ich hatte Raquel noch nie glücklicher gesehen.
»Licht aus in einer Stunde«, brüllte Kate. »Erledigt, was ihr noch zu tun habt.«
Gleichzeitig steckten sich Dana und Raquel die letzten Reste der Sandwiches in ihre Münder und machten sich auf den Weg zur behelfsmäßigen Dusche, die sich im hinteren Teil der Lagerhalle befand. Nur die ersten Leute in der Reihe würden heute Abend noch genügend Zeit haben, sich zu waschen, und nur ein oder zwei von ihnen würden warmes Wasser bekommen. Hatten die beiden vor, sich gegenseitig den Platz streitig zu machen? Die einzige Alternative war vermutlich, einfach gemeinsam zu duschen.
Ich war aber viel zu erschöpft, um auch nur darüber nachzudenken, meine Kleidung auszuziehen, obwohl ich völlig durchgeschwitzt war. »Morgen«, sagte ich halb zu Lucas, halb zu mir. »Morgen früh habe ich noch genug Zeit, mich zu waschen.«
»He.« Er legte seine Hand auf meinen Unterarm, und sein Griff war tröstlich warm und fest. »Du zitterst ja.«
»Da könntest du recht haben.«
Lucas setzte sich zu mir; neben ihm fühlte ich mich klein und zerbrechlich. Seine dunkelblonden Haare schienen selbst in dieser schmuddeligen Umgebung zu glänzen. Er strahlte eine solche Wärme aus, dass ich mir unwillkürlich vorstellte, mitten im Winter vor einem Kamin zu sitzen. Als er mir seinen Arm um die Schultern legte, bettete ich meinen schmerzenden Kopf an seiner Brust und schloss die Augen. Auf diese Weise konnte ich so tun, als wären wir nicht von einigen Dutzend Leuten umgeben, die sich unterhielten und lachten. Oder als befänden wir uns nicht in einer grauen, hässlichen Lagerhalle, die nach Gummi stank. Ich konnte mir vorstellen, dass es auf der ganzen Welt nur Lucas und mich gab.
Lucas murmelte mir ins Ohr: »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Ich mache mir auch Sorgen um mich.«
»Die Abriegelung wird nicht mehr allzu lange dauern. Dann können wir … etwas zu essen für dich besorgen, meine ich. Und dann können wir beide uns auch überlegen, wie es weitergehen soll.«
Ich wusste, was er meinte. Wir würden davonlaufen, so wie wir es vor dem Angriff auf Evernight vorgehabt hatten. Lucas wollte das Schwarze Kreuz ebenso sehr wie ich verlassen. Aber damit das gelingen konnte, brauchten wir Geld, unsere Freiheit und die Möglichkeit, allein zu sein, um Pläne zu schmieden. Im Moment blieb uns nichts anderes übrig, als auszuharren.
Als ich Lucas einen Blick zuwarf, bemerkte ich die Beunruhigung in seinen dunkelgrünen Augen. Ich legte ihm die Hand auf die Wange und fühlte die rauen Stoppeln seines Bartes. »Wir werden es schaffen. Ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird.«
»Ich sollte derjenige sein, der sich um dich sorgt, nicht andersherum.« Er musterte mich, als ob die Lösung für all unsere Probleme in meinem Gesicht geschrieben stünde.
»Wir können uns doch auch gegenseitig umeinander Sorgen machen.«
Lucas nahm mich fest in seine Arme, und einige Sekunden lang sehnte ich mich nicht danach, ganz woanders zu sein.
»Lucas!« Eduardos Stimme wurde vom Beton und Metall ringsum zurückgeworfen. Als wir aufblickten, sahen wir ihn vor uns stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Der Schweiß hatte ein dunkles V auf der
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