Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Augenblick lang ihren Körper wieder für sich zu beanspruchen. Was sind sie ?
Vampire. Erinnerst du dich an das, was Lucas dir erzählt hat? Er ist ebenfalls ein Vampir. Genau wie meine Eltern. Und … tja, eine ganze Menge Leute hier. Ich erkläre dir das später. Jetzt muss ich erst mal was erledigen.
Sie fragte: Was denn?
Mach dir keine Sorgen. Das kann ich nur alleine tun.
Mit diesen Worten gab ich Skye wieder frei. Wir stürzten beide zu Boden, und es schien, als ob der Aufprall von Skyes Körper auf der Eisfläche uns in zwei Stücke zerriss. Ich rollte mich halb durchscheinend herum, hinterließ aber keine Abdrücke im Schnee. Skye setzte sich spuckend auf. In ihrem Haar hatten sich die Schneeflocken gesammelt. Ihr Gesichtsausdruck war seltsam; Entsetzen lag in ihren Zügen, als würde sie sich nicht mehr daran erinnern, dass sie mich freiwillig in sich aufgenommen hatte. Doch sie sagte: »Ich kann sie fühlen.«
»Was kannst du fühlen?«
Sie griff mit beiden Fäusten nach Haarbüscheln, als versuchte sie, durch Schmerz irgendeine andere Empfindung zu überlagern. »Die Geister … sie alle …, es ist, als wären sie in meinem Kopf …«
War ich zu lange in ihrem Körper gewesen, sodass sie sich für eine andere Ebene der Wahrnehmung geöffnet hatte? Wir würden das später herausfinden müssen. »Ich werde mich um sie kümmern, Skye. Das verspreche ich dir.«
Lucas war einige Schritte von uns entfernt und versuchte gerade, Patrice wieder ins Bewusstsein zurückzuholen, doch jetzt mischte er sich ein: »Bianca, was hast du vor?«
»Ich bin bald wieder zurück«, entgegnete ich. »Hast du meine Brosche bei dir?«
Er klopfte auf seine Tasche … und wurde ganz still. »Wir stecken in Schwierigkeiten.«
Als ob das etwas Neues wäre! Aber ich folgte seinem Blick zu Mrs. Bethanys Kutschhaus, dessen Fensterläden fest geschlossen waren, sodass nur dünne Streifen von blau glühendem Licht durch die Schlitze herausdrangen. Sie sahen aus wie Messer, die die Nacht aufschlitzten. Mrs. Bethany begann mit ihrem Vorhaben; bald schon würde sie Maxie vernichtet haben und selber wiederauferstanden sein. Vielleicht waren auch einige ihrer Anhänger im Haus. Ich konnte nur die Umrisse von Vic erahnen, der sich wieder und wieder gegen die Tür warf in dem Versuch, Maxie zu Hilfe zu kommen.
»Na los, er braucht Unterstützung«, sagte ich. »Ich verspreche, dass ich bald zurück sein werde.«
Mit einem letzten Blick auf Patrice, die endlich aus eigener Kraft wieder aufrecht sitzen konnte, rannte Lucas auf Mrs. Bethanys Kutschhaus zu.
Ich löste mich von meiner körperlichen Gestalt und glitt empor; nun war ich reine Energie. Evernight unter mir war weniger etwas, das ich sehen konnte, als vielmehr etwas, das ich spürte. Dort hatten sich so viele verlorene, verzweifelte Geister gesammelt, die zu keiner anderen Empfindung als Furcht mehr fähig waren. Früher, als ich selbst noch nie in einer Falle gesessen hatte, hatte ich es nicht verstehen können, wie es ihnen ging. Ich hatte nicht mit ihnen kommunizieren können. Nun aber wusste ich, was zu tun war.
Ich erinnerte mich an meine Zeit in der Falle und erschuf rings um mich herum eine Erinnerung an die dunkle, gestaltlose Leere. Mit aller Kraft sandte ich diese Gefühle hinab, damit die Geister sie als das erkennen konnten, was sie waren. Gerade, als sie mit Schmerz und Panik reagierten, öffnete ich für sie jenen strahlenden Lichtkreis: den Weg nach draußen.
Und jenseits dieses Kreises malte ich mir das Land der verlorenen Dinge in all seiner Schönheit und Hässlichkeit und so voller Chaos aus. Es erschien in Miniaturform wie die magischen Schlösser im Innern jener Kugeln, in denen es schneit, wenn man sie schüttelt: ein altes Herrenhaus im Stil der Tudors, ein Wohnwagen, ein braunes Pferd mit dicken Kniegelenken und freundlichen Augen, eine gewundene, unbefestigte Straße. Nichts davon hatte ich bislang gesehen, denn es waren die Dinge, die diese Geister mitbrachten.
Die Energie unter mir wandelte sich von Furcht zu vorsichtiger Hoffnung. Ich packte die Geister, jeden einzelnen von ihnen. Ich hätte nicht sagen können, wie ich das bewerkstelligte, aber die Macht dazu musste in mir von Anfang an vorhanden gewesen sein. In diesem Moment kannte ich jeden einzelnen Geist, konnte mir ihre Gesichter und ihre Persönlichkeiten vorstellen, spürte Fragmente der Leben, die sie geführt haben mussten. Sie waren mir so vertraut, mit all ihren Stärken und
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