Evernight Bd. 4 Gefährtin der Morgenröte
Liebe für ihn war tatsächlich stärker als ihr Hass. Aber das hatten sie zu spät herausgefunden.
Maxie war befreit worden, ehe Mrs. Bethany ihre Umwandlung hatte vollziehen können. Mrs. Bethany blieb jedoch genug Zeit, um Christopher zu opfern und ihr eigenes Leben zurückzuerlangen. Das musste sie wissen. Aber sie tat es nicht. »Wir müssen hier raus«, keuchte sie und machte sich zwischen den lodernden Holzbalken zu schaffen, ungeachtet der Gefahr für sich selbst. Ich ahnte, dass sie versuchte, die Falle zu öffnen, die Christopher gefangen hielt. »Wir werden wieder zusammen sein, das verspreche ich dir.«
Ich hörte Christophers Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war, über die knisternden Flammen hinweg: »Meine liebste Charlotte.«
Dann wurde ich von einem Funkenregen zurückgedrängt, und ich sah mit offenem Mund zu, wie das Dach des Kutschhauses zusammenbrach. Nichts blieb mehr übrig außer glimmender Glut, Flammen und Rauch. Der sichere Tod für jeden Vampir und jeden Geist. Die Bethanys waren für immer fort.
Erschüttert wandte ich mich wieder den Auseinandersetzungen zu – oder dem, was mal eine Schlacht gewesen war. Die Vampire, die gegen meine Freunde gekämpft hatten, waren bezwungen worden. Entweder hatte das an der Verstärkung durch Dana und Raquel gelegen, oder sie hatten sich ergeben, als sie sahen, dass ihre Anführerin den Flammen zum Opfer gefallen war. Mit ihr war Mrs. Bethanys magisches Wunderwerk verbrannt, von dem nur sie allein gewusst hatte, wie es funktionierte. Ich konnte sehen, wie meine Mutter meinem Vater auf die Beine half. Raquel und Patrice führten die feindlichen Vampire ein Stück vom Rest von uns weg, und die meisten anderen versammelten sich um eine Gestalt, die ausgestreckt auf dem Boden lag.
Sie standen im Kreis um Lucas herum.
22
Wie ein Blitz war ich bei der kleinen Menschenmenge, die sich um Lucas’ ausgestreckte Gestalt drängte. Er lag bewegungslos und blutüberströmt im Schnee, und seine Brust und seine Stirn waren von einer Klinge tief gespalten worden. Dana wiegte seinen Kopf in ihren Händen, und Balthazar fuhr mit einem Finger am Rand der Wunde in Lucas’ Oberkörper entlang und schauderte. Vic und Maxie standen in der Nähe und hielten einander noch immer fest in den Armen, während Ranulf eine Axt an seine Brust presste, als wäre er ein kleines Kind mit seiner Schmusedecke. Lucas schien in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen zu sein.
»Was ist los?« Ich kniete neben Lucas. »Ist er verwundet?«
»Schwer«, antwortete Balthazar. In seiner Stimme schwang tiefes Entsetzen mit.
Ich sagte: »Wie schlimm es auch sein mag, wie furchtbar er auch verletzt ist, er wird wieder gesund werden.« Niemand sprach ein Wort. »Das wird er doch, oder?«
Balthazar drehte sich zu mir um, und sein Gesicht war ausdruckslos. »Der andere Vampir hatte seine Waffe zuvor in Weihwasser getaucht. Das ist eine gefährliche Taktik für unsereins, aber …«
Ich hob eine Hand, denn ich konnte es nicht ertragen zu hören, was als Nächstes kommen würde. Außerdem wusste ich bereits Bescheid. Das Schwarze Kreuz hatte diese Technik im Training erwähnt, und Erich hatte sie Lucas in seinem eigenen Traum ins Ohr geflüstert. Pflöcke, die sich mit Weihwasser vollgesogen hatten, konnten einen Vampir für alle Ewigkeit paralysieren und quälen. Es war, wie bei lebendigem Leibe zu verbrennen, nur von innen heraus. Beim Schwarzen Kreuz hatten sie zwar nie behauptet, die Wirkung mit Sicherheit zu kennen. Vielleicht stimmte es auch gar nicht. Aber Lucas bewegte sich nicht. Er war tief in diesem schrecklichen, niemals endenden Feuer gefangen.
Ich nahm seine Hand in meine. Sie war kälter als gewöhnlich, ja durch den Schnee rings um uns herum war sie eisig geworden. Seine Finger waren schwer und ohne Widerstand. »Lucas«, flüsterte ich, aber ich wusste, dass er mich nicht hören konnte.
Die einzige Möglichkeit, ihn von seiner Qual zu befreien, wäre gewesen, ihm den Kopf abzuschlagen. Ihn für immer zu verlieren. In den Stunden nach Charitys Angriff hatte ich vor der Entscheidung gestanden, ob ich Lucas töten sollte oder nicht; nun musste ich diese Wahl noch einmal treffen. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte es einfach nicht.
Ich drückte seine Hand noch fester. Dana hatte zu schluchzen begonnen und hob eine Hand, um sich über die Wangen zu wischen. Lucas’ Kopf, den sie einen Moment lang nicht mehr stützte, kippte zur Seite. Blut war aus der Wunde an seiner Stirn
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