Evernight Bd.1 Evernight
Gürtelenden ihres Bademantels. Schlaftrunken lächelte sie mich an.
»Hast du einen Morgenspaziergang gemacht, Süße?«
»Hmm.« Ich seufzte. Es schien mir nicht sonderlich sinnvoll, jetzt noch eine dramatische Szene zu machen.
Als Nächstes trat Dad aus der Tür und umarmte Mum von hinten. »Ich kann es nicht glauben, dass unser kleines Mädchen schon die Evernight-Akademie besucht.«
»Alles kommt so plötzlich.« Sie seufzte. »Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit.«
Er nickte. »Ich weiß.«
Ich stöhnte. Die beiden quatschten immer so und machten sich einen Spaß daraus zu sehen, wie sie mir damit auf die Nerven gingen. Mum und Dad lächelten noch breiter.
Sie sehen zu jung aus, um deine Eltern zu sein , pflegten in meiner Heimatstadt alle zu sagen. Was sie wirklich meinten, war, dass sie zu schön waren. Na ja, beides traf zu.
Das Haar meiner Mutter hatte die Farbe von Karamell, das meines Vaters war von so dunklem Rot, dass es beinahe schwarz aussah. Er war durchschnittlich groß, aber muskulös und stark; sie war in jeder Hinsicht zierlich. Mums Gesicht war so scharf geschnitten und oval wie eine antike Gemme, während Dad einen kantigen Unterkiefer und eine Nase hatte, die aussah, als ob er in seiner Jugend einige Kämpfe ausgetragen hatte. Aber in seinem Gesicht sah sie irgendwie gut aus. Und ich? Ich hatte rote Haare, die meistens auch einfach nur rot aussahen, und eine Haut, die so blass war, dass sie eher käsig als antik wirkte. Wann immer sich meine DNA nach rechts hätte winden müssen, hatte sie eine Linksdrehung gemacht. Mum und Dad sagten immer, dass sich alles auswachsen würde, aber das mussten sie als Eltern wohl behaupten.
»Lass uns zusehen, dass du was zum Frühstück bekommst«, sagte Mum und ging in die Küche. »Oder hast du schon was gegessen?«
»Nein, noch nicht.« Es wäre keine schlechte Idee gewesen, wenn ich vor meiner groß angelegten Flucht etwas zwischen die Zähne bekommen hätte, wie mir mit einem Schlag klar wurde. Mein Magen knurrte. Wenn Lucas mich nicht aufgehalten hätte, dann würde ich just in diesem Augenblick im Wald umherirren, wäre unglaublich hungrig und hätte einen langen Marsch nach Riverton vor mir. So viel zu meinen tollen Plänen.
Die Erinnerung an Lucas ließ mich nicht los, und immer wieder blitzte das Bild, wie wir beide durch Gras und Blätter rollten, vor meinem geistigen Auge auf. Als es geschah, hatte es mir Angst eingejagt, doch wenn ich jetzt daran dachte, fing ich an zu beben, und das war ein ganz anderes Gefühl.
»Bianca.« Die Stimme meines Vaters klang streng, und ich sah schuldbewusst auf. Hatte er irgendwie erraten, worüber ich gerade grübelte? Sofort wurde mir klar, dass das paranoid war, aber es war unübersehbar, wie ernst er es meinte, als er sich neben mich setzte und sagte: »Ich weiß, dass du dich nicht darauf freust, aber Evernight ist wichtig für dich.«
Das war die gleiche Art von Ansprache, die ich zu hören bekommen hatte, wenn ich als Kind Hustensaft nehmen musste.
»Ich will dieses Gespräch jetzt wirklich nicht schon wieder führen müssen.«
»Adrian, lass sie in Ruhe.« Mum reichte mir ein Glas, ehe sie wieder zurück in die Küche ging, wo ich etwas in der Pfanne brutzeln hören konnte. »Und überhaupt: Wenn wir uns nicht beeilen, kommen wir zu spät zur Vorbesprechung der Lehrerschaft.«
Dad warf einen Blick auf seine Uhr und stöhnte. »Warum müssen sie diese Treffen immer so früh ansetzen? Kein Mensch kann um diese Zeit schon da sein wollen.«
»Ich weiß«, murmelte sie. Für die beiden war alles vor dem Mittagessen zu früh. Trotzdem arbeiteten sie schon mein ganzes Leben lang als Lehrer und kämpften eine lange, aussichtslose Schlacht gegen ihre Müdigkeit um acht Uhr morgens.
Während ich mein Frühstück verdrückte, machten sie sich fertig und alberten herum, um mich ein bisschen aufzumuntern. Dann blieb ich allein am Tisch zurück. Für mich war das in Ordnung. Ich saß lange auf meinem Stuhl, während die Zeiger der Uhr weiterwanderten und die Einführung für die Schüler näher rückte. Ich glaube, ich versuchte mir vorzumachen, solange das Frühstück nicht zu Ende wäre, müsste ich auch die anderen neuen Leute nicht treffen.
Na ja, die Aussicht, dass Lucas dort unten sein würde - ein freundliches Gesicht, ein Beschützer -, half ein bisschen. Aber nicht viel.
Als ich es schließlich nicht mehr länger hinauszögern konnte, ging ich in mein Zimmer und zog die
Weitere Kostenlose Bücher