Ewig
fröhlichen Ritt nach Hause.«
Der Kommissar wollte sich wegdrehen und zur Kirchentür zurückgehen, als das Tor aufging und ein untersetzter, grauhaariger Mann mit einem kleinen Metallkoffer eilig die Stufen herunterkam und auf Berner und Wagner zuging.
»Hallo, Kommissar! Hallo, Paul!«
Berner verfluchte den Morgen und diesen Fall im Speziellen. Warum war der Amtsarzt des Bezirks Innere Stadt auf Urlaub? Warum war es ausgerechnet Dr. Strasser gewesen, der ihm zugeteilt worden war? Warum jemand, der mit Wagner per Du war? Der Reporter machte keine Anstalten zu gehen und der Arzt sagte zu niemandem im Besonderen: »Aufgesetzter Schuss an der Schläfe. Großes Kaliber, die Kugel steckt noch in der Kirchenwand. Vom Kopf ist nicht mehr viel übrig, der Tod muss gegen 21:30 Uhr eingetreten sein. Der Mann war Mitte vierzig. Alles andere steht dann in meinem Bericht. Sonst noch was?« Es klang wie auswendig gelernt.
Der Kommissar war verärgert. Was hatte er erwartet?
Paul Wagner sah ihn an. »Aufgesetzter Schuss? Sie haben ein Problem, Commissario, würde ich sagen. Eine Hinrichtung in der Kirche?«
Berner verzog erneut das Gesicht, drehte sich um und ließ den Reporter einfach stehen.
Der Amtsarzt sah ihm kurz nach, als er so mit hängenden Schultern durch den stärker werdenden Nebel wieder zur Kirche stapfte. Dann wandte er sich an Wagner. »Du hast Recht, Paul, es sieht ganz nach einer Hinrichtung aus, und nach einer bewussten Provokation. Mit einem Hinweis, den leider keiner versteht.« Dr. Strasser legte den Kopf schief und sah Wagner herausfordernd an. »Oder sagen dir die Buchstaben L und I etwas? Die Initialen des Killers? Oder des Opfers?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich der Arzt um, winkte kurz zum Abschied und schlüpfte unter der Absperrung durch. Paul sah ihm lange nach, auch noch, als der Nebel ihn schon längst verschluckt hatte.
Im Kircheninneren kauerte Kommissar Berner fasziniert vor einem gläsernen Sarg. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit endlich beendet, und die Scheinwerfer wurden abgebaut. Langsam leerte sich die kleine Kirche wieder. Berner beugte sich vor, um besser sehen zu können. Hinter der Glasscheibe in dem reich verzierten und schwer vergoldeten Vitrinenschrank befand sich ein Skelett in prächtigen barocken Gewändern. In stundenlanger Handarbeit hatten Nonnen jeden einzelnen Knochen mit Goldfäden, Perlen und Spitzen verziert. Ein kleines Schild mit dem handgemalten Namen »Vitalis« glänzte im Licht des letzten Scheinwerfers, bevor auch er verlöschte. Nur mehr das graue Tageslicht fiel nun durch die schmalen Fenster.
Berner drehte sich um, schaute zu dem mit einer dunklen Plane zugedeckten Toten hinüber und zog sein Notizbuch wieder aus der Tasche. Dann erinnerte er sich an das, was Pater Johannes gesagt hatte. Kerzen. In Form von zwei Buchstaben. Er erkannte die große schwarze Platte mit ihren hunderten schmiedeeisernen Spitzen, die wie eine waagrechte Eiserne Jungfrau aussah. Auf einigen steckten Kerzen, dann, wie eine Insel inmitten schwarzer Wellen aus Dornen, erkannte er die Form, von welcher der Geistliche gesprochen hatte. Aus einigen Dutzend weißen Kerzen waren die Buchstaben »L« und »I« gebildet, gut erkennbar, zweifelsfrei.
Berner sah genauer hin. Die Spurensicherung hatte die Kerzen gelöscht, um das Muster zu erhalten, sie am völligen Niederbrennen zu hindern. Auf den anderen, weiter entfernten waren die Dochte in das inzwischen erkaltete Wachs gedrückt worden. Jemand hatte absichtlich die Flammen erstickt, hatte methodisch alle ausgelöscht, die ihm nicht ins Konzept passten. Berner fröstelte und fühlte sich plötzlich leer. Er quetschte sich in eine der hölzernen Kirchenbänke, setzte sich und war versucht, seit langem wieder einmal zu beten.
Das Knarren der Kirchentüre holte ihn in die Realität zurück, riss ihn aus seiner Meditation. Zwei Männer mit einem Plastiksarg kamen herein, sahen ihn fragend an und er nickte nur stumm. Er hatte den Toten schon vorher gesehen, da war nichts, was es noch zu betrachten gab, nichts, was ihm hier noch weiterhelfen konnte. Das Obduktionsergebnis der Gerichtsmedizin konnte er sich schon jetzt vorstellen. Zehn Zeilen, lapidar und ohne Überraschungen. Die Taschen des Toten waren völlig leer, sie würden auf die Kleidung angewiesen sein, wenn es um die Identifizierung ging. Oder auf das Kerzenarrangement. Sowie auf die Fingerabdrücke, da das Gesicht fehlte …
Berner schloss die Augen und
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