Ewig
hörte, wie die Männer schnell und professionell arbeiteten, hörte sie hinausgehen, dann Stille. Er wollte die Augen nicht wieder öffnen, in der Hoffnung, alles würde sich als Irrtum herausstellen, die Blutspritzer an der Wand und auf den großen Steinplatten wären gar nicht vorhanden. Da klingelte sein Handy. Er tastete in der Innentasche des Mantels, griff nach dem Telefon und nahm das Gespräch mit einem Grunzlaut an.
»Und?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang wach, befehlsgewohnt und leicht gelangweilt.
Berner fühlte sich erschöpft. »Aufgesetzter Schuss in die Schläfe, sieht aus wie eine Hinrichtung. Keine Papiere, Mitte vierzig, nichts Auffälliges.« Warum verschwieg er die beiden Buchstaben? Weil er irgendwie nicht daran glaubte? Weil es lächerlich klang? Weil …
Die Stimme des Polizeichefs unterbrach seine Gedankengänge. »Das wird weder dem Erzbischof noch dem Innenminister gefallen. Berner, bringen Sie das schnell zu Ende, bevor wir uns dafür rechtfertigen müssen, dass ein Killer friedliche Menschen in der Kirche umbringt, und das mitten in Wien. Sie wissen schon, Tourismus und so, sichere Stadt. Weiß die Presse davon?«
Der Kommissar zögerte einen Augenblick zu lang.
»Also ist Paul Wagner schon da. Verdammt!« Der Polizeichef hatte aufgelegt, bevor sich Berner irgendwie rechtfertigen konnte. Er hatte plötzlich Lust, sein Handy weit weg zu werfen und mit seinem Wagen drüber zu fahren. Als er es resignierend einsteckte, öffnete sich die Tür und mit einem Schwall kalter Luft trat der Reporter in die Kirche, schaute sich um und erblickte den Kommissar auf der hölzernen Bank sitzen.
»Vor oder nach der Beichte?« Wagner grinste.
»Danach«, murmelte Berner und wie auf Bestellung läuteten die beiden Glocken der Kirche. »Die ältesten Glocken Wiens, mehr als siebenhundert Jahre alt«, dozierte Wagner und blickte nach oben. Berner fühlte sich plötzlich genauso alt.
Das Büro des Polizeichefs im fünften Stock des Wiener Polizeipräsidiums wirkte fast gemütlich mit der dunklen Holztäfelung und den Perserteppichen und den alten Stichen von Wien an der Wand. Einem großen, überladenen Schreibtisch stand eine Sitzgarnitur gegenüber, die zu informellen Treffen einlud. Seine Sekretärin nahm eine Kaffeetasse von dem kleinen Beistelltisch und brachte sie dem massigen Mann, der am Fenster stand und dem Verkehr auf der Ringstraße zuschaute. Seine Hände, hinter dem Rücken verschränkt, öffneten und schlossen sich in einem Takt, den nur er kannte.
»Ihr Kaffee, Herr Doktor. Die beiden Akten liegen auf Ihrem Schreibtisch ganz obenauf.«
Mit einem Nicken bedankte er sich und nippte an dem heißen, süßen Kaffee, während er über den Rand der Tasse weiter auf den Ring hinunterschaute. Dann drehte er sich um, nahm die beiden roten Akten von seinem Tisch und verließ das Büro. Er wandte sich nach links, den langen, hell erleuchteten Gang hinab, der mit den Bildern der Polizeipräsidenten der vergangenen hundert Jahre ein wenig Farbe in seine triste Existenz zu bringen suchte. Die Tür des Besprechungszimmers war geschlossen und er klopfte nicht, als er sie aufstieß und eintrat.
Am langen, ovalen Tisch saß ein einzelner, hagerer Mann. Er hatte seinen Mantel nicht ausgezogen, die schwarzen Rindslederhandschuhe lagen vor ihm auf der spiegelnden mahagonifarbenen Tischplatte. Seine dunklen Augen blickten ruhig dem Polizeichef entgegen, der sich neben ihm einen Stuhl nahm, ihn zurückzog und sich hineinfallen ließ. Die beiden Akten platzierte er vorsichtig vor sich und legte seine flache Hand darauf. Beide Männer schwiegen für einen Augenblick.
»Ich nehme an, die Pistole war nicht registriert«, setzte der Polizeichef an, doch der kalte Blick des hageren Mannes neben ihm ließ ihn verstummen.
»Wer ist der ermittelnde Kriminalbeamte?« Das Deutsch seines Tischnachbarn war akzentfrei, und seine Stimme blieb ungerührt. Sie klang wie Chris Rea nach drei Whiskys, rau und tief.
»Berner, ein kriminalistischer Buchhalter auf dem Weg in die Pension. Er hat keine Ahnung und wird sie nie haben.« Der Polizeichef strich geistesabwesend über das Deckblatt der Akten vor sich.
»Und Paul Wagner?« Der dunkelhaarige Mann lehnte sich leicht vor, streckte die Hand aus und zog die oberste Akte unter der Hand des Polizeichefs weg, legte sie vor sich auf den Tisch und blätterte den Ordner auf.
»War schneller da, als Berner ›Guten Morgen‹ sagen konnte.«
»Gut.« Der hagere
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