Ewig
der Kopf des kleinen Mannes explodierte in einem Schauer aus Blut und Knochensplittern.
Mit einer weiteren Bewegung, die fast nebensächlich aussah, fing der Mann im schwarzen Mantel die Taschenlampe auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug, schaltete sie aus und steckte sie ein. Dann ging er zu den großen Platten voller eiserner Spitzen, auf denen die Opferkerzen steckten. Er arrangierte einige neu, löschte andere aus und verließ dann mit ruhigen Schritten das kleine Kirchenhaus, zog die Tür hinter sich zu, holte einen Schlüssel aus einem seiner Handschuhe hervor und sperrte ab.
Während er in den Wagen stieg und der Chauffeur langsam anfuhr, nahm er ein Handy aus seiner Tasche und begann zu wählen. Es war eine lange Nummer und es dauerte eine Weile, bis es am anderen Ende läutete. »Es ist tatsächlich da«, sagte er nur und legte auf. Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Es hatte begonnen.
Kapitel 1 – 8.3.2008
Wien/Österreich
D er Morgen war grau und düster, die rotierenden Einsatzlichter der Polizeiwagen färbten den Nebel blau und ließen ihn noch dichter erscheinen. Ein Kordon aus rot-weißem Absperrband war quer über den Platz gespannt, einige uniformierte Polizisten standen dahinter, gelangweilt und frierend. Sie unterhielten sich über das Fußballspiel, das gestern ganz Wien vor den Fernsehern fasziniert hatte, die Straßen leergefegt und die Extrazimmer der Wirtshäuser gefüllt hatte. Die wenigen Passanten, die es um diese Zeit meist eilig hatten, ihren Arbeitsplatz zu erreichen, verschwendeten keine Minute, um stehen zu bleiben.
Das war dem Mann, der neben der Kirche darauf wartete, dass die Spurensicherung mit ihrer Arbeit fertig wurde, nur Recht. Er mochte keine Neugierigen an Tatorten. Kommissar Berner sah aus wie ein Buchhalter, dem der Wind das sorgfältig gescheitelte Haar zerzaust hatte. Sein unglückliches Gesicht sprach Bände – es sagte »zu früh, zu kalt, zu windig, zu regnerisch und überhaupt …«. Berner, der Bernhardiner, wie er von Kollegen genannt wurde, nahm jeden Mord in seinem Revier, der Inneren Stadt, als persönliche Beleidigung. Die Glut der Zigarette in seinen Fingern hatte den Filter erreicht, und als er versuchte, sich eine neue anzuzünden, löschte der Wind immer wieder die Flamme des Feuerzeugs aus. Berner fluchte und verstaute die Zigarette wieder in der Packung, öffnete die Kirchentür und steckte den Kopf in das von Scheinwerfern hell erleuchtete Innere.
»Ich will einen Bericht und keine Dissertation!«, rief er zu niemandem Bestimmten und seine Stimme hallte in der Kirche wider.
Als er keine Antwort bekam, drehte er sich achselzuckend um und wandte sich dem verstört blickenden, großen Mann zu, der neben ihm fröstelte. Berner zog sein Notizbuch aus der Tasche, blätterte und fand die richtige Seite, überflog seine Notizen.
»Also wenn ich Sie recht verstehe, dann war die Tür zur Kirche versperrt?«, zitierte er und Pater Johannes, der zuständige Pfarrer, nickte nur stumm. Er wirkte völlig geschockt von seiner morgendlichen Entdeckung, entsetzt über die Entweihung des Gotteshauses. Die fleckenlose, schwarze Soutane ließ sein blasses Gesicht noch fahler erscheinen. Pater Johannes war ein Schrank von einem Mann, massig und über einen Meter neunzig groß, Kommissar Berner musste zu ihm aufschauen.
»Wer hat alles einen Schlüssel für die Kirchentür?«
Die Frage riss den Geistlichen aus seiner Erstarrung, er fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung über den Kopf. »Es gibt einige Schlüssel, weil immer wieder Führungen und Besichtigungstouren in und um die Kirche veranstaltet werden, manchmal mehrere am Tag.« Pater Johannes schaute hilflos über den Vorplatz, der nun von dem rot-weißen Band wie von der Außenwelt abgeschnitten aussah. Er wollte fortfahren, setzte an, aber dann schwieg er doch.
Berner schaute ihn an. »Ja?«
Der Pfarrer schüttelte nur den Kopf. »Wer rechnet schon damit, dass so etwas …« Seine Stimme verlor sich im Wind.
Berner seufzte. Seine Haare standen weiter in alle Richtungen ab und er fror. Der Nebel kroch vom Kanal herauf wie eine hungrige Schlange, schlich um die Ecken und wand sich im Wind.
»Und weiter?« Berner versuchte ein Gespräch in Gang zu halten, von dem er wusste, dass es zu nichts führen würde.
»Dann ging ich hinein und kniete mich nieder, wie immer, bekreuzigte mich und wollte zum Altar gehen.« Johannes stockte. »Dann … sah ich ihn.« Er schloss den Mund, bis seine Lippen
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