Ewiges Verlangen
hinein. Vermutlich hatte er mit einer Gabel ein Loch in die Matratze gebohrt.«
Sara erhob sich, nahm ihr Stethoskop hervor, hielt die Membran an Grays Rücken und horchte sein Herz und seine Lunge ab. Als sie mit dem Gehörten zufrieden war, nahm sie die Stöpsel aus den Ohren. »Jill«, sagte sie. »Entsorgen Sie die Medikamente, aber achten Sie darauf, dass er seine normale Dosis nimmt. Und ich meine, wirklich aufpassen, okay?«
»Natürlich, Dr. Donohue.« Jill zog fragend die dunklen Augenbrauen in die Höhe. »Soll ich ihn für die Nacht ins Bett zurückbringen?«
Sara zuckte zusammen. Die Frage war in dieser Situation angemessen, aber die Formulierung »ins Bett zurück« war eine Kodierung für »soll er angeschnallt werden?«, und im Moment wollte sie nichts weniger. »Nein, es geht ihm gut, da wo er ist. Aber ich werde eine neue Matratze herbringen lassen, und ich möchte, dass Sie das Zimmer in der Zwischenzeit auf noch andere Dinge überprüfen, auf alles, was ein Problem darstellen könnte, und dann alle zehn Minuten nach ihm sehen und mich rufen, wenn Sie irgendwelche Veränderungen bemerken.«
Jill nickte. »Natürlich, Dr. Donohue.«
Als die Krankenschwester den Raum verließ, stellte sich Sara in Grays Blickfeld vors Fenster. Sie hoffte, dass er nur einen Moment ihrem Blick begegnen würde, damit sie Kontakt zu ihm aufnehmen könnte. Aber als er es tat, war die Last des Elends in seinen stahlgrauen Augen so groß, dass Sara ihre Gefühle nur mühsam im Zaum halten konnte. Sie atmete zitternd ein, als sie sich zu ihm beugte, und sie hasste sich dafür. »Gib mir einfach ein wenig mehr Zeit«, flüsterte sie.
Sein Kiefer zitterte, dann verzog er nachdenklich den Mund, und kurz darauf wandte er sich ab und schloss die Augen.
Sara schwieg, wandte sich um und verließ den Raum. Sie eilte unmittelbar zu ihrem Büro und in das kleine Badezimmer, das sie allein benutzte. Als sie dort ankam, schloss sie die Tür und drehte das kalte Wasser an. Was sollte sie tun? Was erwartete er von ihr? Ihn gehen zu lassen? Ihn sterben zu lassen? Ihm einfach die Hilfsmittel zu überlassen, um sich selbst zu töten, und davonzugehen? Er machte sich, verdammt noch mal, selbst etwas vor, wenn er dachte, das würde sie tun.
Tränen brannten in ihren Augen, und sie holte aus und schlug mit der Faust gegen die Badezimmertür. Schmerz schoss durch ihr Handgelenk und dann ihren Unterarm hinauf. Einen Moment lang fühlte es sich gut an – sie empfand lebhaften Zorn, und das jähe Freilassen des emotionalen Schmerzes fühlte sich durch die prompte Folge fast wie eine Droge an. War das die absolute Befreiung, auf die einige ihrer jugendlichen Patienten abfuhren?, fragte sie sich, bevor der Schmerz plötzlich richtig einsetzte und stärker wurde. Sie sog jäh die Luft ein, hielt ihre pochende Hand unter den Wasserhahn und ließ das eiskalte Wasser ihre Haut betäuben. Sie blickte zur Tür und vergewisserte sich, dass sie keine Spuren hinterlassen hatte.
Sie brauchte lediglich mehr Zeit. Wenn sie sich zusammennahm, würde schon bald der Tag kommen, an dem sie alles in Ordnung bringen und Gray letztendlich von den Erinnerungen befreien könnte, die ihn verfolgten. Und du würdest, verdammt noch mal, auch davon befreit, oder?
Ein lautes Klopfen an ihrer Bürotür erschreckte sie, riss sie aber auch wieder in die Realität zurück. Sie trocknete sich rasch die Hand ab, verließ das Badezimmer und rief »Herein«, während sie zu ihrem Schreibtisch trat und sich in den schwarzen Ledersessel dahinter fallen ließ. Sie betrachtete die vier nur halb geleerten Pappbecher, die auf ihrem chaotischen Schreibtisch verstreut standen, und sehnte sich nach einer heißen Tasse Kaffee.
Dr. Peter Albert betrat den Raum mit dem Ausdruck eines Menschen, der sehr kritisch war und wenig Geduld besaß.
Sara wartete nicht darauf, dass ihr Vorgesetzter mittleren Alters ihr Vorwürfe machen würde. Eine Sekunde, nachdem er sich auf dem Stuhl ihr gegenüber niedergelassen hatte, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Erstaunlich. Es ist fast Mitternacht, Schichtwechsel, und doch macht der Dr.-Albert-Spähtrupp weiter.«
Der Mann lächelte trocken. »Und das ist gut so. Wer weiß, wann oder ob ich sonst etwas von dir darüber gehört hätte.«
Er hatte Recht, aber das sagte Sara ihm nicht. Sie brauchte es nicht zu sagen. Pete kannte sie nun seit vier Jahren, und er hatte gelernt, sie einzuschätzen. Sie war ihm gegenüber ehrlich und loyal, wenn es
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