Ewiges Verlangen
siebzehnjährige Mädchen wirkte vielleicht wie ein normaler, von ihrem neuesten Schwarm träumender Teenager. Aber das blaue Papierkleid, das sie trug, sowie die Tatsache, dass sie sich in einem Zimmer der geschlossenen Abteilung für Jugendliche im vierten Stock der Psychiatrie des Walter Wynn Memorial Hospitals befand, machten klar, dass ihre Schwierigkeiten weitaus tiefer reichten.
Sara sah den einen Meter neunzig großen, dunkelhäutigen Sicherheitswachmann an, der den Riegel an der Tür des Mädchens betätigte. »He, Randy, piepsen Sie mich an, wenn sie sich das Papierkleid wieder herunterreißt. Ich werde dann sofort mit ihr reden.«
Er nickte kurz. »In Ordnung, Doc.«
Sara wandte sich um und lief den Flur hinab. »Kommst du, Mel?«, rief sie über die Schulter.
»Ja, ich bin direkt hinter dir.« Melanie Adams, die Sozialarbeiterin, die Pearl ins Krankenhaus gebracht hatte und die meisten Jugendlichen auf der Station betreute, lief hinter Sara her, wobei ihre ultrahohen Absätze auf dem abgewetzten weißen Vinylboden leise klickende Geräusche verursachten. »Nichts für ungut«, sagte sie, durch das Tempo etwas atemlos. »Aber seit wann ist das Ritzen so verdammt in?«
Sara sah im Laufen die Dienstpläne für die Nacht durch. »Vielleicht seit Peitschen untauglich wurden, um emotionalen und physischen Schmerz zu betäuben. Aber ich weiß nicht, ob das hier der Fall ist.«
»Wie kannst du das sagen?«, fragte Melanie eindeutig bestürzt. »Sie hat am gesamten Körper Hunderte von Schnitten.«
»Ich weiß, aber Ritzer halten sich normalerweise an einen Körperbereich: Arme, Beine, Bauch. Ein Bereich, den sie verbergen können«, sagte Sara, während sie weiter den Flur entlanglief.
Ein junger Psychiatrie-Pfleger ging an ihnen vorbei, dessen Blick, wie üblich, unmittelbar zu der kleinen Blonden hinter Sara schweifte. Sie konnte es ihm kaum verdenken. Melanie sah eher aus, als wäre sie einem Hochglanzmagazin entsprungen, und nicht wie eine hartgesottene Sozialarbeiterin; in ihrer Gegenwart fühlten sich die meisten Frauen im Krankenhaus minderwertig. Sara jedoch nicht so sehr. Sie hegte keinerlei Verlangen danach, die Begehrte zu sein – sie hatte schlicht keine Zeit dafür.
»Vielleicht wollte sie sich gar nicht selbst verletzen«, sagte Melanie und ignorierte den Pfleger, während sie Sara folgte. »Vielleicht wollte sie nur auf sich aufmerksam machen.«
»Möglich.« Sara bog um die Ecke und blieb vor den Doppeltüren stehen, die die geschlossene Abteilung für Jugendliche von der Hauptaufnahme und der Langzeit-Abteilung der Erwachsenen trennte. Sie steckte ihren Kartenschlüssel in den Wandschlitz und wartete ungeduldig darauf, hindurchgelassen zu werden. Als sie Zugang erhielt, eilte sie zur Aufnahme, Melanie dicht neben ihr.
»Weißt du«, begann Sara, »sie hat kein Wort gesagt, als ich dort drinnen bei ihr war. Sie hat nicht eine Frage beantwortet, ist aber jedes Mal zusammengezuckt, wenn ich den Freund der Mutter erwähnte.«
Melanie wirkte nachdenklich. »Der Typ erschien mir ein wenig dubios, aber er gab sich besorgt, als wir sie abholten.«
»Natürlich. Wer hat die Polizei gerufen?«
»Die Mom. Sie öffnete die Tür, als wir dort ankamen, und führte die Polizisten und mich direkt ins Badezimmer. Wir fanden Pearl neben der Badewanne kauernd. Das Messer lag direkt neben ihr.«
Sara legte die Akten auf dem grünen Marmortisch ab. »Hat sie etwas angehabt?«
»Nein. Sie war nackt, außer Kontrolle, von Schnitten übersät. Aber …«
Sara blickte auf, bemerkte die Verwirrung in Melanies blauen Augen und fragte: »Was ist los?«
»Ich weiß nicht … Es war seltsam. Bei so vielen Schnitten würde man eine Menge Blut erwarten, richtig?«
»Und?«, fragte Sara. »War nicht viel Blut zu sehen?«
»Es war gar kein Blut zu sehen.« Melanies Blick huschte zu den beiden Krankenschwestern hinter dem großen, kreisrunden Aufnahmepult, und sie senkte die Stimme. »Es waren frische Wunden, offene Wunden – und sie haben nicht einmal genässt. Sieh es dir an.«
Sara öffnete erneut Pearl McCleans Akte und sah die Fotos ihrer Verletzungen durch, bis sie zu den Nahaufnahmen der Wunden des Mädchens gelangte. Wie Melanie gesagt hatte, wirkten die Schnitte frisch und unverheilt. Es hatte sich noch keine Narbe über den ungefähr einhundert Einschnitten gebildet, und doch war keine Spur von Blut zu entdecken. Tatsächlich wirkte die Haut, als sie das Foto näher betrachtete, fast glatt, als sei
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