Ewigkeit
das Gebot der Stunde.
28. KAPITEL
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Erde
Es war keine physische Sensation, als das Shuttle von der Landebahn in Christchurch abhob. Karen Farley Lanier schloß kurz die Augen und hörte auf das, was die Delegierten riefen, von denen viele bis in die letzten Wochen noch nie geflogen waren, geschweige denn Reisen im Weltraum gemacht hatten. Sie würden sieben Stunden im Transit verbringen bis zum Andocken an den Stein – oder vielmehr Thistledown, wie sie sich korrigierte. Nur die Alten Einheimischen bezeichneten den orbitalen Asteroid noch als den Stein.
Immer noch schlank, das blonde Haar in helle Aschenfarbe ergrauend, wirkte Karen reif, aber keineswegs in Nähe ihrer achtundsechzig Jahre. Sie hätte eine gut erhaltene Vierzigerin sein können. Stolzes Auftreten und Fitneß gehörten zu ihrer Abwehr des Todes. Wenn sie ihre Kraft und Jugend bewahren konnte, so fühlte sie mehr unbewußt, dann könnte die Erde ihre Vitalität wiederbekommen. Manchmal bezichtigte sie sich egoistischer Eitelkeit; aber warum und auch wofür konnte sie eitel sein? Ihr Gatte hatte ihr seit mindestens fünf Jahren keine Komplimente mehr über ihr Aussehen gemacht. Seit drei Jahren hatten sie keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt, und sie hatte weder Zeit noch Neigung zu Affären.
Das Leben hatte sie fast völlig selbstgenügsam gemacht, eine Art emotionaler Analogie zum homorphen Olmy.
Die Atmosphäre im Shuttle war durch Aufregung elektrisiert. Die Delegierten saßen mit weit offenen Augen an die Bullaugen gedrängt. Nach anderthalb Stunden war die Neuheit soweit geschwunden, daß sich einige Delegierte vom Anblick der Sterne und Erde abwandten. Karen sah sich in dem breiten und schwach erhellten weißen Innern der Kabine um. Wie bei fast allen Hexamon-Shuttles sah die Ausstattung wie genial geformter Weißbrotteig aus. Die Couches waren fast beiläufig für maximale Wirkung angeordnet und alle imstande, sich den Körpern der Benutzer anzupassen. Undurchsichtigkeit, wo keine Fenster nötig waren, Lichtbündel, wo ein Delegierter einen kleinen Stapel Papier las (archaisch in dieser Umgebung), und Schatten dort, wo ein anderer schlief.
Dieses Hexamonshuttle war viel größer als die meisten und konnte leicht einige hundert Passagiere aufnehmen. Jetzt waren vierundfünfzig Personen an Bord, darunter einundvierzig Männer und Frauen von der Erde, ebenso wie sie selbst. Es würde ein grandioses Experiment werden, indem man diese Personen mit ihren Schnürsenkeln zu einer einzigen Familie verknüpfte und sie zu sehen lernte, daß sie ihre Gefährten nicht als Konkurrenten sondern als Helfer betrachteten.
Die Vorstellung in Christchurch war recht glatt gegangen. Karen hatte sich trotz ihres Rangs als Koordinationschefin der Erde eingefügt und war von den meisten in der Gruppe als ebenbürtig akzeptiert worden.
Eine Anzahl von Delegierten hatte sich ihr angeschlossen im Versuch, eine überlegene Klasse zu bilden. Darunter war eine Chinesin mittleren Alters, deren Kommune erst vor fünf Jahren, nahe Karens Heimatprovinz Hunan gelegen, mit dem Terrestrischen Hexamon in Berührung gekommen war. Dann war da ein schwere Narben tragender Ukrainer, der eine Gruppe Unabhängiger repräsentierte, die diejenigen, welche ihre Dörfer und Städte bergen zu wollen vorgaben, fast zwanzig Jahre lang nach dem großen Tod bekämpft hatte. Ein Dritter war ein Nordamerikaner aus Mexico City. Diese Stadt hatte die Bomben überlebt, war dann aber einer tödlichen Strahlung erlegen. Dann war sie von Latinos aus Mittelamerika und Flüchtlingen aus den Grenzstädten wieder bevölkert worden…
Karen würdigte ihr Vertrauen, entmutigte aber auf feine Art die Hierarchie, die sie unbewußt bildeten. Sie wollte weder hohe Stellung noch Macht, sondern allein Erfolg. Ihnen bot sich jetzt eine einzigartige Gelegenheit. Man mußte mit der Lage sorgfältig umgehen.
Ihre Gesichter trugen die Spuren der Agonie der Erde, obwohl einige erst nach dem Tod geboren worden waren. Manche hatten die mentale Therapie mit Pseudo-Talsit bekommen und auch in der schlimmsten Zeit ihre Gesundheit und Fähigkeiten bewahrt. Sie waren unglaublich zäh und nicht unterzukriegen. Man hatte sie durch Soziologen des Hexamons handverlesen, die Monate lang die Genesungsregister, welche erst in den letzten vier Jahren abgeschlossen waren, nach genau dieser Art durchsucht hatten. »Wir nennen sie hohe Auslese«, hatte Suli Ram Kikura, die Projektkoordinatorin, Karen gesagt. »Starke
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