Exil im Kosmos: Roman (German Edition)
gilt.«
Rawlins verließ das Büro des alten Mannes. Es war Nacht geworden. Er ging langsam am Wasser entlang und überquerte die Brücke über den Fluss. In einer Stunde war er mit einem Mädchen verabredet. Sie war eine angenehme Gesellschafterin und auch gut im Bett, aber jetzt bedauerte Rawlins, dass er sich den Abend nicht freigehalten hatte. Er wäre lieber allein gewesen.
Auf der Brücke blieb er stehen, um zum Himmel aufzublicken.
Ungezählte Lichtpunkte schimmerten dort oben, Schwärme von ihnen. Lemnos war dort, und Beta Hydri IV, und die Welten der Radio-Lebewesen. Dort draußen lag ein Labyrinth in einer weiten Wüstenebene, und ein Wald aus hundert Meter hohen Pilzen, und ein paar hundert Planeten mit den jungen Städten von Menschen, und ein riesiger Satellit, der eine eroberte Welt umkreiste. In ihm wohnte etwas unerträglich Fremdes, unerträglich Überlegenes. Auf den paar hundert Planeten lebten besorgte Leute, die die Zukunft fürchteten. Unter den Pilzbäumen gingen anmutige, stille Geschöpfe mit vielen Armen. Im Labyrinth hauste … ein Mann.
Vielleicht, dachte Rawlins, werde ich Müller in einem oder zwei Jahren besuchen.
Es war zu früh, um Voraussagen zu wagen. Niemand wusste, ob und wie die Fremden auf das reagieren würden, was sie von Richard Müller erfahren hatten. Die Rolle der Hydraner, das Schicksal der Menschen, Müllers fernere Zukunft – das waren Geheimnisse, verborgen im Schoß der Zeit. Vor ein paar Jahren hätte er den Gedanken, diese Zeit des Umbruchs und der Krise mitzuerleben, erregend gefunden. Heute nicht.
Er überquerte die Brücke. Er dachte an den Mann im Labyrinth. Was fühlte der andere an diesem Abend? Was dachte er?
Was ist er geworden?
Er ging nach Hause und zog sich um. Er ging zu dem Mädchen, das ihn erwartete. Sie tranken Wein. Sie lächelten einander zu, durch das flackernde Licht einer Kerze. Sie gingen zu ihr und standen beisammen auf einem Balkon und blickten über die Stadt hin. Lichter funkelten bis zum Horizont, wo sie unmerklich in jene anderen Lichter übergingen, die den Himmel bedeckten. Er schob seinen Arm um ihre Mitte und drückte sie an sich.
Sie sagte: »Wie lange bleibst du diesmal?«
»Vier Tage.«
»Und wann wirst du zurückkommen?«
»Wenn die Arbeit getan ist.«
»Ned, wirst du jemals zur Ruhe kommen? Wirst du jemals genug haben und nicht mehr hinausgehen und begreifen, dass die Erfüllung deines Lebens nirgendwo sonst zu finden ist als in dir selbst?«
»Ja«, sagte er vage. »Ich glaube. Eines Tages.«
»Du meinst es nicht. Du sagst es nur. Keiner von euch kommt je zur Ruhe.«
»Wir können nicht«, murmelte er. »Es gibt immer neue Welten … neue Sonnen …«
»Ihr wollt zuviel. Ihr wollt das ganze Universum und könnt kaum das Wenige zusammenhalten, das ihr habt. Ihr müsst eure Grenzen erkennen.«
»Ja«, sagte er, »du hast recht. Ich weiß es. Aber wir versuchen aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wir dienen unserer Sache und versuchen ehrlich mit uns selbst zu sein. Wie sonst sollten wir handeln?«
»Der Mann, der ins Labyrinth zurückging …«
»… ist glücklich«, sagte Rawlins. »Er hat seinen Weg gewählt. Man könnte sagen, dass er in sich selbst seine Erfüllung gefunden hat.«
»Wie?«
»Ich kann es nicht erklären.«
»Er muss uns alle schrecklich hassen, dass er der ganzen Menschheit so den Rücken kehrt.«
»Es ist nicht Hass«, sagte Rawlins. »Darüber ist er hinaus. Er ist in Frieden mit sich. Was immer er ist.«
»Was immer?«
»Ja«, sagte er leise. Er fröstelte in der Nachtkühle und führte sie hinein. Sie standen beim Bett, und er küsste sie und dachte wieder an Richard Müller und fragte sich, was für ein Labyrinth am Ende seines eigenen Wegs auf ihn warten mochte. Er presste sie heftig an sich und fühlte ihre weiche Wärme an seiner kühlen Haut. Sie ließen sich aufs Bett sinken. Seine Lippen und Hände suchten, liebkosten. Ihr Atmen wurde unregelmäßig.
Wenn ich Müller wiedersehe, dachte er, muss ich ihm mehr Fragen stellen.
Sie sagte: »Warum hat er sich wieder ins Labyrinth eingeschlossen, Ned?«
»Aus dem gleichen Grund, der ihn schon das erste Mal bewogen hatte, unter Fremden sein Leben zu riskieren.«
»Und dieser Grund war?«
»Er liebte die Menschen«, sagte Rawlins. Und er dachte, dass dieses Wort als ein Epitaph so gut wie irgendein anderes sei. Er hielt das Mädchen fest in seinen Armen. Aber er ging noch vor Morgengrauen.
Titel der
Weitere Kostenlose Bücher