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Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

Exil im Kosmos: Roman (German Edition)

Titel: Exil im Kosmos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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empfindender Geist – alles das geriet in einen unerbittlichen Sog, der ihn zwang, sein Innerstes preiszugeben. Er versuchte nicht, Widerstand zu leisten; er gab nach, er hieß willkommen, er gab großzügig. Die übermächtige Wesenheit dort unten zapfte seinen Geist an, öffnete die Sperren neuraler Energie.
    »Nur zu«, sagte Müller, und die Echos seiner Stimme schlugen auf ihn zurück. »Trink! Wie schmeckt es? Ein bitteres Gebräu, wie? Trink! Trink!« Seine Knie gaben nach, er sank vorwärts und presste seine Stirn gegen das kalte Geländer, als unsichtbare Finger die verborgensten Winkel seines Geistes durchsuchten.
    Er ergab sich bereitwillig, in völliger Entspannung. Er öffnete sein Gedächtnis und gab die Bruchstücke seiner Erinnerung preis: Liebe und erste Enttäuschung, Frühlingsregen, Fieber und Schmerz. Stolz und Hoffnung, Wärme und Kälte, süß und sauer. Den Geruch von Schweiß und die Berührung von Fleisch, den Donner von Musik, die Musik des Donners, seidiges Haar zwischen seinen Fingern, Ritzzeichnungen in schwammiger Erde. Schnaubende Pferde und glitzernde Schulen winziger Fische vor einem Korallenriff. Städte und Straßen, Prunkvillen und Elendsquartiere. Schnee. Milch. Wein. Hunger. Feuer. Schlaf. Sorge. Dämmerung. Tränen. Bach. Brutzelndes Fett in einer armseligen Imbissstube. Das Lachen alter Männer. Die Sonne am Horizont, der Mond auf dem Meer, das Licht anderer Sterne, blühende Sommerwiesen unter den Hängegletschern des Hochgebirges. Vater. Mutter. Traurigkeit. Freude. Er gab es alles, und viel mehr, und er wartete auf eine Antwort. Keine erreichte ihn. Und als er völlig entleert war, hing er mit dem Gesicht nach unten über dem Geländer, hohl und erschöpft, und starrte blind in den Abgrund.

Kapitel 53
     
    Als er gehen konnte, ging er. Er fühlte sich weder geschoben noch zurückgehalten, aber etwas, das er sich nur als fremde Einwirkung in sein Bewusstsein vorstellen konnte, lenkte seine Schritte durch die hallende Dunkelheit. Die Luke öffnete sich und entließ seine Landekapsel, und sie erhob sich zu seinem Schiff. Bald darauf war er an Bord und auf der Rückreise. Er schlief die meiste Zeit. In der Nachbarschaft von Antares schaltete er die Programmierung aus, übernahm die Kontrolle über das Schiff und gab dem Navigationsrechner eine Kurskorrektur ein. Eine Rückkehr zur Erde war unnötig. Die nächste Überwachungsstation zeichnete seine Kursänderung auf und erlaubte ihm den sofortigen Weiterflug nach Lemnos. Müller ließ das Schiff wieder auf normale Reisegeschwindigkeit gehen.
    Als er nicht weit von Lemnos abbremste und zum Landemanöver überging, fand er ein anderes Schiff, das bereits in einer Umlaufbahn war und auf ihn wartete. Er kümmerte sich nicht darum und ließ sein Radio schweigen, aber das andere Schiff bestand auf Kontakt. Schließlich nahm Müller die Aufforderung an und schaltete seinen Sender auf Sprechverkehr.
    »Hier ist Ned Rawlins«, sagte eine seltsam ruhige Stimme. »Warum haben Sie den programmierten Flugplan abgeändert?«
    »Ist es wichtig? Ich habe meine Arbeit getan.«
    »Sie haben keine Meldung gemacht.«
    »Dann hole ich es jetzt nach. Ich besuchte den Fremden. Wir hatten eine angenehme, freundliche Unterhaltung. Dann ließ er mich nach Hause gehen. Jetzt bin ich beinahe daheim. Ich weiß nicht, welche Wirkung mein Besuch auf die Zukunft der Menschheit haben wird. Ende der Meldung.«
    »Was werden Sie jetzt machen?«
    »Nach Hause gehen, sagte ich. Dies ist mein Zuhause.«
    »Lemnos?«
    »Lemnos.«
    »Lassen Sie mich an Bord kommen. Geben Sie mir zehn Minuten mit Ihnen – persönlich. Bitte sagen Sie nicht nein.«
    »Ich sage nicht nein«, antwortete Müller.
    Bald löste sich eine kleine Landekapsel vom anderen Schiff und glich die Geschwindigkeit an. Müller wartete geduldig das Rendezvousmanöver ab, dann kam Rawlins durch die Schleuse und nahm seinen Helm ab. Er sah blass und gespannt aus, gealtert. Der Ausdruck seiner Augen hatte sich verändert. Sie blickten einander an, dann kam Rawlins auf ihn zu und umfasste zum Gruß Müllers Handgelenk.
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie noch einmal wiedersehen würde«, begann er. »Und ich wollte Ihnen sagen …«
    Er verstummte.
    »Ja?«, fragte Müller.
    »Ich fühle es nicht!«, sagte Rawlins verwirrt. »Ich fühle es nicht mehr!«
    »Was?«
    »Sie. Ihre Ausstrahlung. Sehen Sie, ich stehe direkt vor Ihnen. Und ich merke nichts. All das Üble, die Qual, die Verzweiflung – es

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