Exil im Kosmos: Roman (German Edition)
Der Verfall des Geistes, das Verwesen des Körpers, das Kommen des Winters … Leere … Asche …
»Wenn wir die Erde erreichen«, sagte Boardman mit mühsamer Munterkeit, »werden wir Sie über alle Einzelheiten informieren. Sie werden erfahren, was wir über die Radiowesen wissen. Es ist nicht sehr viel, aber vielleicht kann es Ihnen von Nutzen sein. Danach werden Sie auf sich selbst gestellt sein. Aber ich bin überzeugt – und auch Sie werden es sehen –, dass die Herzen und Seelen von Milliarden Menschen für Ihren Erfolg und Ihre Sicherheit beten werden.«
»Wer gibt jetzt billige, glatte Redensarten von sich?«, fragte Müller.
Boardman überhörte die sarkastische Frage. »Gibt es jemanden, den Sie auf der Erde gern sehen würden?«
»Nein.«
»Ich könnte eine Nachricht vorausschicken, sobald wir in Erdnähe kommen. Es gibt Menschen, die nie aufgehört haben, Sie zu schätzen und zu lieben, Müller. Diese Menschen werden sich gern am Raumhafen einfinden, wenn ich sie verständige, dass Sie kommen.«
Müller sagte langsam: »Ich sehe Ihnen die Anstrengung an, Boardman. Sie leiden unter meiner Nähe. Es macht Sie kaputt. Sie fühlen es in Ihrem Gehirn und in Ihren Eingeweiden. Ihr Gesicht ist schon ganz grau und verfallen. Sie bleiben sitzen, weil es zu Ihrer Arbeit gehört, aber es fällt Ihnen höllisch schwer. Wenn es auf der Erde jemanden geben sollte, der nicht aufgehört hat, mich zu schätzen und zu lieben, dann habe ich die Pflicht, ihm oder ihr die Qual eines solchen Wiedersehens zu ersparen. Ich will niemanden sehen. Ich will mit niemandem reden.«
»Wie Sie wollen«, sagte Boardman. Schweißperlen hingen in seinen buschigen Brauen und tropften auf seine Wangen. Er sah krank aus. »Vielleicht werden Sie Ihre Meinung ändern, wenn wir in die Nähe der Erde kommen.«
»Ich werde nie wieder in der Nähe der Erde sein«, sagte Müller.
Boardman erhob sich mühsam und wankte hinaus.
Kapitel 50
Müller verbrachte drei Wochen mit dem Studium der Informationen, die in den letzten Jahren über die Giganten der Galaxis gesammelt worden waren. Auf sein ausdrückliches Verlangen ersparte man ihm, während dieser Zeit die Erde betreten zu müssen, noch wurde seine Rückkehr von Lemnos der Öffentlichkeit bekanntgemacht. Man quartierte ihn in einen Bunker auf dem Mond ein, und er lebte ruhig und abgeschieden unter dem Krater Kopernikus. Wie ein stummer Roboter bewegte er sich durch die grauen Betonkorridore, ließ sich Filme vorführen, studierte Computerauswertungen und vertiefte sich in die Kommunikationstechnik, der die Fremden sich zur Lenkung ihrer menschlichen Sklaven bedienten.
Die wenigen Leute, die in seiner Umgebung lebten und ihn zu betreuen hatten, ließen ihn in Ruhe. Tage vergingen, an denen er keinen Menschen sah. Wenn sie zu ihm kamen, wahrten sie Abstand und versuchten nicht, Gespräche mit ihm anzuknüpfen.
Ihm war es recht.
Die einzige Ausnahme war Boardman, der ihn zwei- bis dreimal die Woche besuchte und für den es eine Ehrensache zu sein schien, nahe an ihn heranzugehen und die Ausstrahlung zu ignorieren – was ihm dann doch nicht gelang. Müller fand das verächtlich. Es war ein falsches und gönnerhaftes Wohlwollen in dieser völlig unnötigen Demonstration.
»Ich wünschte, Sie würden wegbleiben«, sagte Müller bei Boardmans fünftem Besuch. »Wir können uns über die Sprechanlage verständigen.«
»Ihre Nähe macht mir nichts aus«, sagte Boardman.
»Aber mir die Ihre«, erwiderte Müller. »Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, dass es mir so gehen könnte wie Ihnen? Dass ich die Menschheit ebenso unerträglich und abscheulich finde wie sie mich? Der Geruch Ihres fetten Körpers sticht in meine Nase. Und nicht nur Ihr Geruch, auch der von allen anderen. Ekelhaft. Grässlich. Sogar die Gesichter. Die Poren. Die Münder. Die Ohren! Sehen Sie sich gelegentlich mal ein menschliches Ohr aus der Nähe an, Boardman. Haben Sie jemals etwas Abstoßenderes als diese runzligen, verbogenen Knorpeldinger gesehen, aus denen Haare sprießen? Ihr widert mich alle an!«
»Es tut mir leid, dass Sie so empfinden«, sagte Boardman verdattert.
Die Instruktionen nahmen kein Ende. Als die erste Woche um war, erklärte Müller seine Bereitschaft zur Abreise, aber nein, erst mussten sie ihm sämtliche gespeicherten Daten in den Kopf pressen. Er stopfte die Informationen ungeduldig in sich hinein. Ein Schatten seines alten Selbst, der irgendwo in den Zwischenzonen seines
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