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Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
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auf der Mole hinaus zum Leuchtturm. Es wurde kühl, Kitty zog ihre Wolljacke an. Ich muß dahinterkommen, ich muß, muß, muß, sagte sie sich immer wieder. Am Ende der Mole sah sie David ben Ami sitzen. Er schien in Gedanken verloren, sah aufs Meer hinaus und warf flache Steine über das Wasser. Sie ging zu ihm hin; er blickte auf und lächelte. »Schalom, Kitty. Sie sehen ausgeruht aus.«
    Sie setzte sich neben ihn. Eine Weile bewunderten beide schweigend den Sonnenuntergang.
    »Denken Sie an zu Hause?« fragte Kitty schließlich.
    »Ja.«
    »An Jordana — so heißt sie doch, nicht wahr — Aris Schwester?« David nickte.
    »Werden Sie sie sehen?«
    »Wenn ich Glück habe, werden wir ein bißchen Zeit füreinander haben.«
    »David —.«
    »Ja?«
    »Was wird aus den Kindern?«
    »Wir werden gut für sie sorgen. Sie sind unsere Zukunft.«
    »Ist die Situation in Palästina gefährlich?«
    »Ja, die Situation ist außerordentlich gefährlich.«
    Danach schwiegen beide wieder eine ganze Weile. Dann fragte David:
    »Fahren Sie mit uns?«
    Kitty stockte das Herz. »Warum fragen Sie?«
    »Es scheint allmählich so selbstverständlich, daß Sie bei uns sind. Außerdem erwähnte Ari irgend etwas davon.«
    »Wenn — wenn Ari daran interessiert ist, warum fragt er mich dann nicht?«
    David lachte. »Ari bittet nie einen Menschen um irgend etwas.« »David«, sagte Kitty plötzlich, »Sie müssen mir helfen. Ich bin völlig ratlos. Sie scheinen der einzige zu sein, der ein bißchen Verständnis dafür hat —.«
    »Wenn ich kann, helfe ich Ihnen gern.«
    »Ich bin in meinem Leben noch nie unter lauter Juden gewesen. Ihr seid mir fremd, ich finde euch so rätselhaft.«
    »Wir Juden erscheinen uns selbst womöglich noch rätselhafter«, sagte David.
    »Darf ich ganz offen sein? Ich komme mir so als Außenseiter vor.« »Das ist völlig normal, Kitty. Geht den meisten Leuten so. Wir sind schon eine sonderbare Gesellschaft.«
    »Aber jemand wie dieser Ari ben Kanaan. Was ist das für ein Mensch? Wie ist er wirklich? Ist er überhaupt eine reale Person?« »Ari ist durchaus real. Er ist das Produkt einer historischen Fehlentwicklung.«
    Sie gingen zum Hotel zurück, da es Zeit zum Abendessen war.
    »Ich weiß nicht recht, wo man eigentlich anfangen soll«, sagte David. »Doch mir scheint, wenn man die Geschichte Ari ben Kanaans richtig erzählen will, dann muß man bei Simon Rabinski anfangen, einem russischen Juden, der im Ghetto von Schitomir lebte. Ja, ich glaube, man muß zurückgehen bis vor die Jahrhundertwende. Wenn ich mich recht erinnere, ereignete sich die entscheidende Wende im Jahre 1884.«
    Simon Rabinski war ein Schuhmacher. Seine Frau hieß Rachel. Sie war ihm ein gutes und treues Weib. Simon hatte zwei Söhne, und diese Söhne waren sein größter Schatz.
    Jakob, der Jüngere, war vierzehn Jahre alt. Er war ein Hitzkopf, mit scharfer Zunge und von raschem Geist. Er war jederzeit sofort bereit, ein Streitgespräch zu beginnen.
    Yossi, der ältere der beiden Brüder, war sechzehn. Seine Erscheinung war auffallend. Er war ein athletischer Bursche von über einsachtzig und mit dem brandroten Haar, wie es seine Mutter Rachel hatte. Er war ebenso sanft, wie sein Bruder Jakob wild war. Die Familie Rabinski war sehr arm. Sie lebte in dem südwestlichen Teil von Rußland, der Bessarabien, die Ukraine, die Krim und Teile von Weißrußland umfaßte und als jüdische Zone bekannt war. Die Grenzen dieser Zone, der einzigen, in der Juden in Rußland ansässig sein durften, waren im Jahre 1804 festgesetzt worden, und das ganze Gebiet war nichts als ein riesiges Ghetto.
    Die Abgrenzung dieses jüdischen Wohngebiets war nur ein Ereignis in einer jahrhundertelangen Geschichte von Verfolgung und Diskriminierung. Diese jahrhundertelange Verfolgung erreichte einen kritischen Höhepunkt in der Regierungszeit Katharinas I., als eine Reihe von Pogromen gegen diejenigen Juden stattfand, die nicht gewillt waren, zum griechisch-katholischen Glauben überzutreten. Da alle Versuche, die Juden zu bekehren, völlig vergeblich waren, vertrieb Katharina I. schließlich einige tausend Juden aus Rußland. Die meisten von ihnen gingen nach Polen.
    Es folgte die Zeit der Eroberungskriege, in denen Polen erobert und wieder erobert, geteilt und erneut geteilt wurde. Katharina II. erbte dabei die Juden, die vorher von Katharina I. vertrieben worden waren.
    Diese Ereignisse führten in direkter Folge zur Errichtung des abgegrenzten jüdischen

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