Exodus
kann, weil meine beiden Söhne heute abend für ihn Kaddisch gebetet haben.«
Es war Yossi unmöglich, seinem Vater gegenüber unehrlich zu sein. »Wir haben gar nicht für Reb Horowitz gebetet«, murmelte er.
Simon Rabinski tat überrascht und hob die Hände in die Höhe.
»So, so! Nun, ich hätte es mir denken können. Ihr wart gewiß auf Freiersfüßen. Grad heut war Abraham, der Heiratsvermittler, hier bei mir im Laden. Er sagte zu mir, Simon Rabinski, sagte er, einen schönen Sohn hast du da an deinem Yossi. Er wird dir eine gute Mitgift von der Familie eines reichen Mädchens bringen — stell dir vor, Yossi, er will schon jetzt eine Braut für dich aussuchen.«
»Wir waren nicht auf Brautschau«, sagte Yossi und schluckte. »Nein? Nicht auf Brautschau und nicht zum Kaddisch? Vielleicht wart ihr noch einmal in der Synagoge?«
»Nein, Vater«, sagte Yossi fast unhörbar.
Jakob hielt es nicht länger aus. »Wir waren in einer Versammlung der Zionsfreunde!« sagte er.
Yossi sah seinen Vater verlegen an, wurde rot und nickte. Jakob machte ein trotziges Gesicht. Er schien froh zu sein, daß es heraus war. Simon seufzte und sah seine beiden Söhne lange Zeit schweigend und eindringlich an.
»Ich bin gekränkt«, sagte er schließlich.
»Deshalb hatten wir dir ja auch nichts davon gesagt, Vater«, sagte Yossi. »Wir wollten dich nicht kränken.«
»Ich bin nicht gekränkt, weil ihr zu einer Versammlung der Zionsfreunde gegangen seid. Ich bin gekränkt, weil die Söhne von Simon Rabinski so gering von ihrem Vater denken, daß sie sich ihm nicht mehr anvertrauen.« Jetzt wand sich auch Jakob verlegen. »Aber«, sagte er, »wenn wir es dir gesagt hätten, dann hättest du uns vielleicht verboten, hinzugehen.«
»Sag mir, Jakob — wann habe ich euch jemals verboten, Wissen zu erwerben? Habe ich euch jemals ein Buch verboten? Gott verzeih mir — selbst, als es euch in den Sinn kam, das Neue Testament lesen zu wollen — habe ich es euch verboten?«
»Nein, Vater«, sagte Jakob.
»Mir scheint, es ist höchste Zeit, daß wir einmal miteinander reden«, sagte Simon.
Yossis rotes Haar leuchtete im Schein der Kerze. Er war um einen halben Kopf größer als sein Vater. Er sprach fest und bestimmt. Yossi war zwar langsam von Entschluß, doch wenn er sich erst einmal entschlossen hatte, blieb er dabei. »Jakob und ich haben dir nichts davon gesagt, weil wir wissen, was du von den Zionsfreunden und den neuen Ideen hältst, und weil wir dich nicht verletzen wollten. Aber ich bin froh, daß ich heute abend hingegangen bin.« »Auch ich finde es gut, daß du hingegangen bist«, sagte Simon. »Rabbi Lipzin möchte gern, daß ich in die Mannschaft zur Verteidigung des Ghettos eintrete«, sagte Yossi.
»Rabbi Lipzin bricht mit so vielen Traditionen, daß ich mich allmählich frage, ob er überhaupt noch ein Rabbi ist«, sagte Simon. »Das ist es ja gerade, Vater«, sagte Yossi. »Du hast Angst vor den neuen Ideen.« Es war das erstemal, daß Yossi so zu seinem Vater sprach, und er schämte sich im gleichen Augenblick.
Simon kam hinter seiner Werkbank hervor, legte seinen Söhnen die Hände auf die Schultern, führte sie zu ihrem Alkoven und bat sie, sich auf die Betten zu setzen. »Meint ihr denn, ich wüßte nicht genau, was in euren Köpfen spukt? Neue Ideen, wahrhaftig! Von Emanzipation und Ghettoverteidigung war genauso die Rede, als ich in eurem Alter war. Ihr macht nur eine Krise durch, die jeder Jude durchmachen muß — um seinen Frieden mit der Welt zu machen — um zu wissen, wo sein Platz in der Welt ist. Ich habe als junger Mensch sogar einmal daran gedacht, den christlichen Glauben anzunehmen!«
Yossi war verblüfft. Sein Vater hatte daran gedacht, zu konvertieren!
»Warum sollte es falsch sein, daß wir uns verteidigen wollen?« fragte Jakob. »Warum wird es von unseren eigenen Leuten als Sünde betrachtet, wenn wir versuchen, uns bessere Lebensbedingungen zu verschaffen?«
»Du bist Jude«, antwortete sein Vater, »und das bringt bestimmte Verpflichtungen mit sich.«
»Auch die Verpflichtung, daß ich mich unter meinem Bett verkrieche, wenn man mich töten will?« sagte Jakob laut und heftig.
»Sprich nicht so mit Vater«, sagte Yossi.
»Niemand hat behauptet, es sei leicht, Jude zu sein. Wir sind nicht da, um von den Früchten dieser Erde zu leben. Wir sind in die Welt gestellt, um über die Gebote Gottes zu wachen. Das ist unsere Mission. Das ist unsere Aufgabe.«
»Und das ist unser Lohn!« gab
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