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Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
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ist Papa?«
    »Die Thora!« schrie sie. »Die Thora!«
    In diesem Augenblick wankte, sechs Querstraßen weiter, Simon Rabinski in die brennende Synagoge und bahnte sich keuchend den Weg zum Ende des Raumes, dorthin, wo der Thoraschrein stand. Er zog die Vorhänge beiseite, auf denen die Zehn Gebote geschrieben standen, und holte das Sefer Thora herunter, die Rolle mit den Geboten Gottes.
    Simon drückte das heilige Pergament an seine Brust, um es vor den Flammen zu schützen, und wankte zur Tür zurück. Er hatte schwere Verbrennungen erlitten und war dem Ersticken nahe. Er wankte durch die Tür nach draußen und fiel auf die Knie.
    Zwanzig der Schüler Andrejews erwarteten ihn.
    »Schlagt den Juden tot!«
    Simon kroch noch ein paar Meter auf den Knien weiter, dann brach er zusammen und beschützte, am Boden liegend, das Sefer Thora mit seinem Leib. Knüppel zerschmetterten seinen Schädel, genagelte Schuhe traten ihm ins Gesicht.
    »Schlagt den Juden tot!«
    In seiner Todesqual rief Simon Rabinski laut: »Höre, o Israel — der Herr ist unser Gott!«
    Simon Rabinski war, als man ihn fand, bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Das Sefer Thora, die Rolle mit den Geboten, die Gott dem Moses verkündet hatte, war dem Alten vom Mob abgenommen und verbrannt worden.
    Das ganze Ghetto von Schitomir betrauerte seinen Tod. Er hatte den ehrenvollsten Tod erlitten, den es für einen Juden geben konnte. Er hatte das Sefer Thora mit seinem Leib geschützt! Er wurde zusammen mit einem Dutzend anderer bestattet, die gleich ihm bei Andrejews Pogrom umgebracht worden waren.
    Für Rachel Rabinski war der Tod ihres Mannes nur eine weitere Tragödie im Verlauf eines Lebens, in dem sie kaum etwas anderes gekannt hatte als Kummer und Sorgen. Doch diesmal ging es über ihre Kraft. Auch ihre Söhne waren ihr kein Trost. Man brachte sie zu Verwandten, die in einer anderen Stadt wohnten. Yossi und Jakob gingen jeden Tag zweimal zur Synagoge, um für ihren Vater Kaddisch zu beten. Yossi mußte daran denken, wie sehr sein Vater bestrebt gewesen war, das Leben eines Juden zu führen, damit ihn der Messias erkenne. Es war seine Lebensaufgabe gewesen, über Gottes Gebote zu wachen. Vielleicht hatte sein Vater recht gehabt — vielleicht war es nicht ihr Los, von den Früchten der Erde zu leben, sondern als Wächter der göttlichen Gebote zu dienen. In seinem Schmerz versuchte Yossi, eine Erklärung für den grausamen Tod seines Vaters zu finden.
    In Jakob sah es anders aus. Sein Herz war voller Haß, und selbst wenn er zur Synagoge ging, um das Klagegebet für seinen Vater zu sprechen, sann er auf Rache. Er war unruhig und voller Bitterkeit. Er schwor grimmig, den Tod seines Vaters zu rächen.
    Yossi, der wußte, wie es um seinen Bruder stand, ließ ihn nicht aus den Augen. Er versuchte, ihn zu beruhigen und zu trösten, doch Jakob war untröstlich.
    Einen Monat nach dem Tod von Simon Rabinski schlich sich Jakob eines Nachts, während Yossi schlief, heimlich aus der Werkstatt. In seinem Gürtel hatte er ein langes scharfes Messer versteckt, das er von der Schusterbank seines Vaters genommen hatte. Er wagte sich aus dem Ghetto hinaus und begab sich zu der Wohnung Andrejews, des Judenhassers.
    Ein instinktives Gefühl ließ Yossi wenige Minuten später wachwerden. Als er sah, daß Jakob fort war, kleidete er sich hastig an und rannte ihm nach. Er ahnte, wohin sein Bruder gegangen war. Gegen vier Uhr morgens hob Jakob Rabinski den Messingklopfer an der Tür von Andrejews Wohnung. Als der bucklige Andrejew die Tür öffnete, sprang Jakob auf ihn zu und rannte ihm das Messer tief ins Herz. Andrejew stieß einen kurzen Schrei aus und fiel tot zu Boden.
    Als Yossi kurz danach angestürzt kam, fand er seinen Bruder, der wie hypnotisiert die Leiche des Mannes anstarrte, den er ermordet hatte. Er zog Jakob fort, und beide flohen.
    Den ganzen nächsten Tag und die folgende Nacht hielten sie sich im Keller des Hauses von Rabbi Lipzin verborgen. Die Nachricht von der Ermordung Andrejews war wie ein Lauffeuer durch Schitomir gegangen. Der Ältestenrat des Ghettos versammelte sich und faßte einen Beschluß.
    »Wir haben Anlaß, zu befürchten, daß man euch erkannt hat«, sagte der Rabbi, als er von der Versammlung nach Haus kam. »Dein rotes Haar, Yossi, ist einigen der Gymnasiasten aufgefallen.«
    Yossi biß sich auf die Lippe und sagte nicht, daß er nur versucht hatte, die Tat zu verhindern. Jakob zeigte keinerlei Reue, sondern sagte: »Ich würde es ein

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