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Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
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heimlich geübt.«
    Kitty ging ans Fenster. Draußen standen fünfzig ihrer Kinder. Sie hielten brennende Kerzen in den Händen und sangen ein Weihnachtslied.
    Kitty zog ihren Mantel an und ging zusammen mit Karen hinaus an die Gartenpforte. Hinter den Kindern konnte sie die Lichter aus den Häusern der Siedlungen sehen, die sechshundert Meter tiefer unten im Tal lagen. Sie konnte die Worte des Weihnachtsliedes nicht verstehen, doch die Melodie kam ihr bekannt vor; es war ein sehr altes Lied.
    »Frohe Weihnachten, Kitty«, sagte Karen.
    Kitty rollten die Tränen über die Wangen. »Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal , Stille Nacht' in hebräischer Sprache zu hören. Es ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe.«
    Karen hatte Wache in einem der Gräben außerhalb von Gan Dafna. Sie ging zum Dorfausgang hinaus und die Straße entlang zu einer Stelle, wo man von den Verteidigungsanlagen aus einen Blick auf das Tal hatte.
    »Halt!«
    Sie blieb stehen.
    »Wer da?«
    »Karen Clement.«
    »Parole?«
    »Chag sameach.«
    Karen löste den Wachtposten ab, sprang hinunter in den Graben, schob einen Patronenstreifen in die Kammer des Gewehrs, lud durch, sicherte, und zog sich ihre Fäustlinge an.
    Es war schön, auf Wache zu stehen, dachte Karen. Sie sah durch den Stacheldraht nach Abu Yesha. Es war schön, hier draußen allein zu sein und vier Stunden lang nichts anderes zu tun zu haben, als in das Hule-Tal hinunterzusehen und seinen Gedanken nachzuhängen. Durch die stille Winterluft drangen leise die Stimmen der Kinder, die vor Kittys Bungalow sangen. Es war Weihnachten, ein ganz besonders schönes Weihnachten.
    Danach verstummte der Gesang, und ringsum war tiefe Stille.
    Karen hörte, wie sich in den Bäumen hinter ihr etwas bewegte. Sie drehte sich leise um und spähte durch die Dunkelheit. Da bewegte sich doch etwas. Sie erstarrte und hielt angespannt Ausschau. Ja, da zwischen den Bäumen bewegte sich ein dunkler Schatten — vielleicht ein hungriger Schakal, dachte sie.
    Sie entsicherte ihr Gewehr, hob es an die Schulter und sah über Kimme und Korn. Der dunkle Schatten kam näher.
    »Halt!« rief sie laut.
    Die undeutliche Gestalt blieb stehen.
    »Parole?«
    »Karen!« rief eine Stimme.
    »Dov!«
    Sie kletterte aus dem Graben heraus und lief auf ihn zu, und er lief ihr entgegen, und sie fielen sich in die Arme.
    »Dov! Bist du es wirklich? Ich kann es kaum glauben.«
    Sie sprangen beide in den Graben hinunter und Karen versuchte, sein Gesicht in der Dunkelheit zu erkennen.
    »Dov, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll —.«
    »Ich bin vor einer Stunde gekommen«, sagte er. »Ich habe draußen vor eurem Haus gewartet, bis du herauskamst und auf Wache gingst. Dann bin ich dir nachgegangen.«
    Karen sah sich erschreckt um. »Du bist hier in Gefahr! Du mußt dich vorsehen, daß die Engländer dich nicht erwischen!«
    »Nein, Karen, das ist jetzt schon in Ordnung. Die Engländer können mir nichts mehr anhaben.«
    Sie streckte die Hand nach ihm aus, und ihre Finger zitterten.
    »Dir ist kalt, Dov. Du hast nicht mal einen Pullover an. Du mußt doch frieren.«
    »Nein, nein — ich friere nicht.«
    Plötzlich kam der Mond hinter einer Wolke hervor, und sie konnten einander sehen.
    »Ich habe mich in den Höhlen außerhalb von Hamischmar versteckt gehalten.«
    »Ich weiß.«
    »Ich — ich dachte, du wärst in Amerika.«
    »Wir konnten nicht weg.«
    »Du wunderst dich wahrscheinlich, was ich hier will. Karen, ich — ich möchte gern nach Gan Dafna zurück. Als ich damals fortging, habe ich ein paar Uhren und Ringe mitgenommen, und man hält mich hier vielleicht für einen Dieb.«
    »Aber nein, Dov. Hauptsache, du lebst und bist in Sicherheit, alles andere ist ganz unwichtig.« »Weißt du, ich — ich werde alles zurückzahlen.«
    »Das ist ganz unwichtig. Niemand ist dir böse.«
    Dov senkte den Kopf. »Die ganze Zeit, als ich im Gefängnis war, und später, als ich mich dann tagelang oben in den Berghöhlen verborgen hielt, habe ich immer darüber nachdenken müssen. Dov, habe ich mir gesagt, kein Mensch ist wütend auf dich. Es ist einzig und allein Dov, der wütend ist — wütend auf sich selbst. Als du mich im Gefängnis besucht hattest, da sagte ich mir — ich sagte mir, daß ich nicht mehr sterben, daß ich am Leben bleiben wollte. Ich wollte nicht mehr sterben, und ich wollte auch niemanden mehr töten.«
    »Oh, Dov —.«
    »Karen, ich — ich habe nie ein anderes Mädchen gehabt.

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