Exodus
WERDEN! GRUNDBESITZ WIRD ENTEIGNET!
DIE JUDEN HABEN KEINERLEI ANSPRUCH AUF DEN BESITZ VON KUNSTGEGENSTÄNDEN ODER SCHMUCK!
AB SOFORT IST DEN JUDEN DER BESUCH VON THEATER, KINO UND KONZERT UNTERSAGT!
ALLE JUDEN KÖNNEN JEDERZEIT ZUR ZWANGSARBEIT HERANGEZOGEN WERDEN!
Es war schwer, sich vorzustellen, daß es noch schlimmer werden könnte. Doch die Flut stieg höher und höher, und schließlich brachen die Wogen über Johann Clements Insel herein, als die kleine Karen eines Tages nach Haus gestürzt kam, das Gesicht blutüberströmt, während in ihren Ohren noch die Schreie gellten: »Jude! Jude! Jude!«
Wenn ein Mensch eine so tief verwurzelte, eine so unerschütterliche Überzeugung hat wie Johann Clement, dann wird die Erschütterung und Zerstörung dieser Überzeugung zu einer grauenhaften Katastrophe. Nicht genug damit, daß er, Johann Clement, sich getäuscht hatte, er hatte auch das Leben seiner Familie gefährdet. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg, und bei dieser Suche verwies man ihn schließlich an die Gestapo in Berlin. Als er aus Berlin zurückkam, schloß er sich zwei Tage und zwei Nächte lang in seinem Arbeitszimmer ein, hockte dort an seinem Schreibtisch und starrte auf das Schriftstück, das vor ihm lag. Dieses Schriftstück war ein Stück Papier, das man ihm bei der Gestapo in die Hand gedrückt hatte, doch es war von nahezu unheimlich-magischer Kraft. Er brauchte nur seinen Namen darauf zu setzen, dann hatte er für sich und seine Familie in Zukunft nichts mehr zu befürchten. Es war ein lebensspendendes Dokument. Er las es wieder und wieder durch, bis er jedes Wort, das dieses Schriftstück enthielt, auswendig wußte.
... auf Grund der oben angegebenen Nachforschungen und der unbestreitbar daraus sich ergebenden Tatsachen bin ich, Johann Clement, der absoluten Überzeugung, daß die Angaben über meine Geburt nicht der Wahrheit entsprechen. Ich habe niemals dem jüdischen Glauben angehört. Ich bin Arier und ...
Unterschreibe es! Unterschreibe es! Tausendmal ergriff er den
Federhalter, um seinen Namen unter das Schriftstück zu setzen. Es war jetzt nicht die Zeit, sich auf den Ehrenstandpunkt zu stellen! Er war nie Jude gewesen — warum sollte er das nicht unterschreiben — was bedeutete das schon. Warum nicht unterschreiben?
Die Gestapo hatte es Johann Clement mit aller Deutlichkeit erklärt: sollte er nicht bereit sein, dieses Dokument zu unterschreiben und seine Forschungsarbeit fortzusetzen, so durfte seine Familie Deutschland nur verlassen, wenn er als Geisel dablieb.
Am Morgen des dritten Tages kam er aus seinem Arbeitszimmer heraus, bleich und eingefallen. Er begegnete dem angstvollen Blick Mirjams. Er ging zum Kamin und warf das Schriftstück in die Flammen. »Ich kann nicht«, sagte er leise. »Du mußt unverzüglich mit den Kindern aus Deutschland fort.« Er bangte plötzlich um jeden Augenblick, den seine Familie noch da war. Bei jedem Klopfen an der Tür, jedem Läuten des Telefons, jedem sich nähernden Schritt, ergriff ihn eine Angst, wie er sie noch nie in seinem Leben verspürt hatte.
Er machte einen Plan. Zunächst sollte die Familie nach Frankreich, wo sie bei befreundeten Kollegen bleiben konnte. Mirjam stand kurz vor der Niederkunft und konnte keine weite Reise machen. Wenn das Baby erst einmal da war und sie sich wieder erholt hatte, dann konnten sie nach England oder Amerika weiterfahren. Noch war nicht alles verloren. Wenn erst einmal die Familie in Sicherheit war, dann konnte er immer noch überlegen, was aus ihm werden sollte. Es gab mehrere Geheimorganisationen in Deutschland, die sich speziell damit befaßten, Wissenschaftler aus Deutschland herauszuschmuggeln. Man hatte ihm den Tip gegeben, sich an eine dieser Organisationen zu wenden, die in Berlin saß und sich Mossad Aliyah Bet nannte.
Die Koffer waren gepackt, es war alles soweit. Am letzten Abend vor der Abreise saßen Johann Clement und seine Frau schweigend beieinander und hofften verzweifelt auf irgendein Wunder, das ihnen einen Aufschub gewähren würde.
Doch in der Nacht begannen bei Mirjam Clement die Wehen. Da sie nicht in ein Krankenhaus durfte, gebar sie zu Haus. Es war ein Sohn. Die Geburt war schwierig, und Mirjam brauchte mehrere Wochen, um sich davon zu erholen.
Panik ergriff Johann Clement! Er wurde gepeinigt von der Vorstellung, daß seine Familie in der Falle saß, ohne jede Möglichkeit, dem nahenden Unheil zu entrinnen.
In fliegender Hast fuhr er nach Berlin und begab sich in
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