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Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
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die Meineckestraße 10, wo sich das Büro von Mossad Aliyah Bet befand. Es war wie in einem Irrenhaus. Im Vorraum drängten sich die Menschen, die verzweifelt aus Deutschland herauszukommen versuchten.
    Gegen zwei Uhr morgens führte man ihn in ein Zimmer, in dem ein sehr junger und sehr erschöpfter Mann saß. Sein Name war Ari ben Kanaan, und er war aus Palästina hierhergeschickt worden, um deutschen Juden zu helfen, die aus dem Land heraus wollten. Ben Kanaan sah ihn mit geröteten Augen an. »Also gut, Herr Professor«, sagte er seufzend, »wir werden dafür sorgen, daß Sie hinauskommen. Fahren Sie jetzt wieder nach Hause, man wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich muß einen Paß beschaffen, ein Visum, muß die entsprechenden Leute bestechen. Es wird einige Tage dauern.«
    »Es handelt sich nicht um mich. Ich kann nicht fort, und auch meine Frau nicht. Aber ich habe drei Kinder. Sie müssen sie hinausbringen.«
    »Ich muß Sie hinausbringen«, wiederholte Ben Kanaan. »Herr Professor, Sie sind ein wichtiger Mann. Ihnen kann ich vielleicht helfen. Ihren Kindern kann ich nicht helfen.«
    »Sie müssen!« schrie Clement.
    Ari ben Kanaan schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. »Haben Sie die Leute gesehen, die sich da draußen drängen? Sie alle wollen aus Deutschland hinaus!« Er lehnte sich über den Schreibtisch, bis sein Gesicht unmittelbar vor Johann Clement war. »Seit fünf Jahren haben wir euch gebeten, haben wir gebettelt, daß ihr aus Deutschland fortgeht! Jetzt aber, selbst wenn es uns gelingt, euch hinauszubekommen, lassen die Engländer euch nicht nach Palästina hinein. ,Wir sind Deutsche', habt ihr die ganze Zeit gesagt, ,wir sind Deutsche — uns werden sie doch nichts tun.' Herrgott noch mal, was soll ich denn jetzt machen!«
    Ari schluckte und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Er schloß einen Augenblick lang ermüdet die Augen. Dann ergriff er ein Bündel mit Schriftstücken, das auf seinem Schreibtisch lag und blätterte es durch. »Ich habe hier Ausreisevisa für vierhundert Kinder. Dänische Familien haben sich bereit erklärt, sie aufzunehmen. Wir haben einen Zug organisiert. Eins von Ihren Kindern kann mitfahren.«
    »Aber — ich habe drei Kinder.«
    »Und ich habe zehntausend Kinder. Und keine Ausreisevisa für sie. Und ich bin machtlos gegen die englische Flotte. Ich schlage vor, daß Sie das älteste Ihrer Kinder schicken. Das wird am besten auf sich allein aufpassen können. Der Zug fährt morgen abend, vom Potsdamer Bahnhof.«
    Karen drückte schläfrig ihre Lieblingspuppe an sich. Ihr Vater kniete neben ihr. In ihrem Halbschlummer roch sie den wunderbaren Geruch seiner Pfeife.
    »Es wird eine sehr schöne Reise werden, Karen. Das ist genau, als ob du nach Baden-Baden führest.«
    »Aber ich mag nicht, Pappi.«
    »Hör mal, Karen — denk doch nur an all die netten Jungen und Mädchen, die mit dir fahren.«
    »Ich will aber nicht mit ihnen fahren. Ich will hierbleiben, bei dir und Mammi und Hans und Maximilian. Und bei meinem neuen Brüderchen.«
    »Na, na, Karen Clement! Meine Tochter wird doch nicht weinen.« »Ich will nicht weinen — ich will ganz bestimmt nicht weinen. Pappi — Pappi — werde ich auch bald wieder bei dir sein?«
    »Ja, weißt du — wir werden uns alle Mühe geben —.«
    Eine Frau näherte sich Johann Clement und berührte seine Schulter. »Entschuldigen Sie«, sagte sie, »es ist Zeit.«
    »Ich setze sie in den Zug.«
    »Tut mir leid — aber die Eltern dürfen nicht mit in den Zug.«
    Er nickte, drückte Karen rasch noch einmal an sich, trat zurück und biß so fest auf seine Pfeife, daß ihm die Zähne weh taten. Karen ließ sich von der Frau bei der Hand nehmen, doch dann blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. Sie gab ihrem Vater ihre Stoffpuppe. »Pappi, nimm du mein Püppchen, es wird auf dich aufpassen.«
    Scharen angsterfüllter Eltern drängten sich am Zug, und die abreisenden Kinder preßten ihre Gesichter gegen das Glas der Fenster, riefen, winkten, und suchten verzweifelt einen letzten Blick zu erhaschen.
    Johann Clement suchte nach seiner Tochter, konnte sie aber nicht mehr sehen.
    Der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Die Eltern liefen nebenher und riefen ein letztes Lebewohl.
    Professor Clement stand regungslos in der Menge. Als der letzte Wagen vorbeikam, hob er den Blick und sah Karen ganz ruhig und gefaßt auf der hintersten Plattform stehen. Sie legte die Finger an die
    Lippen und warf ihm eine Kußhand zu

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