Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
Vom Netzwerk:
von Babi Yar geleitet hatte. Babi Yar war ein Vorort von Kiew, in dem innerhalb von zwei Tagen 33 000 Juden zusammengetrieben und erschossen wurden. Jubelnde Ukrainer hatten dabei zugesehen.
    Sie hörte vom anatomischen Institut Professor Hirts in Straßburg und von seinen Assistenten, und sie sah verstümmelte Frauen, die ihnen als Versuchsobjekte gedient hatten.
    Dachau war das größte »wissenschaftliche« Zentrum gewesen. Sie hörte, daß Dr. Heisskeyer dort Kindern Tb-Bazillen einimpfte und ihren Tod beobachtete. Dr. Schütz interessierte sich für Blutvergiftungen. Dr. Rascher wollte das Leben der deutschen Fliegermannschaften retten, und bei seinen Experimenten mit hohem Luftdruck erfroren menschliche Versuchskaninchen, während man sie sorgfältig hinter Spezialfenstern beobachtete. Es gab noch weitere Versuche, die die Deutschen in ihrer Reihe »Wahrheit in der Wissenschaft« unternommen hatten. Sie erreichten den Höhepunkt mit dem Versuch der künstlichen Befruchtung mit Tiersamen bei Frauen.
    Karen hörte von Wilhaus, dem Lagerkommandanten von Janowka, der den Komponisten Muno beauftragte, den »Todestango« zu schreiben. Diese Musik war für 200 000 Juden in Janowka die letzte ihres Lebens. Sie hörte mehr über Wilhaus. Sie hörte, daß sein Steckenpferd darin bestand, kleine Kinder in die Luft zu werfen, um zu sehen, wie oft man den Körper mit der Pistole treffen konnte, ehe er am Boden aufschlug. Seine Frau Ottilie war ebenfalls ein ausgezeichneter Schütze.
    Karen weinte fassungslos. Sie wurde verfolgt von Visionen des Schrecklichen, das sie erfuhr. Sie lag in den Nächten schlaflos, und die Namen aus dem Land des Grauens marterten ihr Gehirn. Hatte man ihren Vater, ihre Mutter und ihre Brüder nach Buchenwald gebracht, oder waren sie in Dachau umgekommen? Vielleicht waren sie in Chelmno, mit einer Million Opfer, oder in Majdanek, mit siebenhundertundfünfzigtausend Menschen umgekommen. Oder in Belzec oder in Treblinka, in Sobibor oder Trawniki, in Poniatow oder Krivoj Rog. Hatte man sie in den Gräben von Krasnik erschossen oder auf dem Scheiterhaufen von Klooga verbrannt oder ihre Körper von Hunden in Diedzyn zerreißen lassen oder in Stutthof zu Tode gefoltert?
    Die Peitschenhiebe! Die Eisbäder! Der elektrische Stuhl!
    Die Lötkolben! Massenmord!
    Waren sie im Lager von Choisel oder Dora gewesen, in Groß-Rosen oder Neuengamme, oder hatten sie den »Todestango« in Janowka hören müssen?
    War ihre Familie unter den Toten, deren Körper in Danzig zu Seife verarbeitet wurden?
    Der Tod verfolgte die »displaced persons« im Lager von La Ciotat in der Nähe von Marseille in Frankreich.
    Karen konnte weder essen noch schlafen. Immer neue Namen hörte sie aus dem Land des Grauens. Kivioli, Warka, Magdeburg, Plaszow, Trzebynia, Mauthausen, Sachsenhausen, Oranienburg, Landsberg, Bergen-Belsen, Rensdorf, Blizin.
    Flossenburg! Ravensbrück! Natzweiler!
    Doch alle diese Namen waren harmlos, verglichen mit Auschwitz! Auschwitz, mit seinen drei Millionen Toten! Mit seinen Magazinen, die bis unter die Decke mit Brillen angefüllt waren, mit Schuhen, mit Kleidung, mit Puppen und mit riesigen Ballen menschlichen Haares zur Herstellung von Matratzen! Auschwitz, wo die Goldzähne der Toten sorgfältig gesammelt und eingeschmolzen wurden. Auschwitz, wo besonders wohlgeformte Totenschädel präpariert und als Briefbeschwerer verwendet wurden; Auschwitz, über dessen Eingangstor ein Schild hing mit der Inschrift: ARBEIT MACHT FREI.
    Karen Hansen-Clement versank in tiefe Melancholie. Sie hörte und sah, bis sie nichts mehr sehen und nichts mehr hören konnte. Sie war erschöpft und verwirrt, und willenlos. Und dann, wie so oft, wenn man am Ende zu sein glaubt, kam die Wendung, und es ging aufwärts.
    Es begann damit, daß sie einem elternlosen Kind zulächelte und über das Haar strich, und das Kind die Wärme ihres Mitgefühls spürte. Karen vermochte Kindern das zu geben, wonach sie am meisten verlangten: Zärtlichkeit. Sie flogen ihr zu. Karen schien instinktiv zu wissen, wie man eine Nase putzt, ein Wehweh heilt oder eine Träne trocknet, und sie konnte in vielen Sprachen Geschichten erzählen und Lieder am Klavier singen.
    Sie stürzte sich mit einem Eifer in die Arbeit, nahm sich der kleineren Kinder so völlig an, daß sie darüber sogar den eigenen Schmerz ein wenig vergaß. Ihre Geduld war unermüdlich, und immer hatte sie Zeit und Kraft für andere.
    In La Ciotat verlebte sie ihren fünfzehnten

Weitere Kostenlose Bücher