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Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Uris
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der Bibel war so vieles, was Karen nicht verstand, was sie beunruhigte. Oftmals wünschte sie sich, mit Aage über alles sprechen zu können. Jesus war ja auch Jude gewesen und seine Mutter und alle seine Jünger waren Juden. Das ganze Alte Testament, das Karen besonders faszinierend fand, handelte ausschließlich von den Juden. Und hieß es nicht immer wieder, daß die Juden das Volk waren, das Gott auserwählt hatte?
    Wenn das wahr war, wie konnte es dann so gefährlich sein, Jude zu sein, und woher kam es dann, daß die Juden so gehaßt wurden? Je älter Karen wurde, desto intensiver suchte sie nach einer Antwort auf diese Fragen. Als sie vierzehn war, konnte sie sich schon vieles von dem, was in der Bibel stand, zurechtlegen und ausdeuten. Fast alles, was Jesus gelehrt hatte, war schon im Alten Testament niedergelegt. Und das war das größte von allen Rätseln: sollte Jesus erneut auf die Erde kommen, so würde er, das stand für Karen fest, bestimmt lieber in eine Synagoge gehen als in eine Kirche. Wie konnten Menschen Jesus verehren und Gottes auserwähltes Volk hassen?
    An ihrem vierzehnten Geburtstag ereignete sich noch etwas anderes, was Karen aufmerksam und nachdenklich machte. In diesem Alter wurden die dänischen Mädchen konfirmiert, und die Konfirmation war eine feierliche und festliche Sache. Karen war als Dänin und als Christin herangewachsen, dennoch hatten die Hansens wegen der Konfirmation Bedenken. Sie sprachen darüber, und Aage und Meta waren sich einig, daß sie keine Entscheidung fällen könnten in einer Frage, die bereits durch Gott entschieden war. So sagten sie Karen eines Abends, daß sie die Konfirmation mit Rücksicht auf den Krieg und die Unsicherheit der Verhältnisse lieber verschieben wollten. Doch Karen ahnte den wahren Grund.
    Als sie damals zu den Hansens gekommen war, hatte sie nach Liebe und nach Schutz verlangt. Jetzt aber hatte sie ein größeres Verlangen: sie wollte wissen, woher sie kam und wer sie war. Und sie wollte wissen, was es eigentlich bedeutete, Jude zu sein. All diese brennenden Fragen hatte sie bisher verdrängt, um für immer als Dänin unter Dänen leben zu können. Jetzt war ihr das nicht mehr möglich.
    Als sich der Krieg seinem Ende näherte, begriff Karen, daß sie nicht bei den Hansens bleiben konnte, und sie bereitete sich innerlich auf den Schock der unvermeidlichen Trennung vor. Karen Hansen zu sein, das war nur eine Rolle, die sie gespielt hatte. Jetzt wurde es für sie eine Sache von höchster Wichtigkeit, Karen Clement zu werden. Sie versuchte, Einzelheiten ihrer Vergangenheit zu rekonstruieren, sich an ihren Vater zu erinnern, an ihre Mutter und an ihre Brüder. Erinnerungen tauchten wieder vor ihr auf, undeutlich und ohne Zusammenhang. Immer wieder stellte sie sich vor, wie es sein würde, wenn sie wieder mit ihren Eltern und Geschwistern vereint wäre.
    Als dann das Ende des Krieges kam, war Karen vorbereitet und gefaßt. Einige Monate nach Kriegsende eröffnete sie eines Abends den Hansens, daß sie sich aufmachen wolle, um ihre Eltern zu suchen. Sie sagte ihnen, daß sie mit der Dame im Büro der Flüchtlingsorganisation gesprochen habe, und daß die Aussichten, ihre Familie zu finden, größer seien, wenn sie sich in ein Lager für Zwangsverschleppte in Schweden begäbe. In Wirklichkeit waren die Aussichten nicht größer, als wenn sie in Kopenhagen geblieben wäre, doch sie ertrug es nicht, den Abschiedsschmerz der Hansens zu verlängern.
    Karen blutete das Herz. Sie hatte mehr Mitleid mit Aage und Meta als mit sich selbst. Mit dem Versprechen, ihnen zu schreiben, und mit der schwachen Hoffnung, sie irgendwann einmal wiederzusehen, überließ sich Karen Hansen-Clement, vierzehn Jahre alt, dem endlosen Strom der Menschen, die der Krieg von Heim und Herd vertrieben hatte.
    Die ersten Monate fern von Dänemark waren wie ein böser Traum. Bisher war sie immer behütet und beschützt gewesen, jetzt erschrak sie vor der rauhen Wirklichkeit. Doch eine unbeugsame Entschlossenheit trieb sie auf ihrem Weg voran.
    Dieser Weg führte sie zunächst in ein Lager in Schweden, und von dort auf ein Schloß in Belgien, wo es von Menschen ohne Heim, Habe und Ziel wimmelte. Es waren Menschen, die in Konzentrationslagern gesessen hatten, Menschen, die geflohen und untergetaucht waren, die sich verborgen gehalten hatten, die als Partisanen gekämpft und in den Wäldern und auf den Bergen gelebt hatten, es waren Angehörige aus dem zahllosen Heer der

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