Exodus
dem Augenblick, da die Deutschen in Warschau einrückten, versammelten sich die Bauleute, um zu überlegen, was nun zu tun sei. Die meisten polnischen Juden meinten, es würde ihnen nichts geschehen und nahmen eine abwartende Haltung ein. Die Bauleute und andere zionistische Gruppen in allen Teilen des Landes waren nicht so naiv. Sie waren sich dessen bewußt, daß die deutsche Besatzung eine schwere Gefahr bedeutete.
Die Bauleute beschlossen, in Warschau zu bleiben, den Widerstand innerhalb der Stadt zu organisieren und mit den anderen BauleuteGruppen im übrigen Polen Verbindung zu halten. Mundek wurde, obwohl er noch nicht neunzehn war, zum militärischen Führer der Warschauer Gruppe gewählt. Jan, Ruths heimliche Liebe, wurde Mundeks Stellvertreter.
Sofort nach der Machtübernahme durch die Deutschen erließ der neuernannte Generalgouverneur Hans Frank eine ganze Reihe von
Verordnungen, die sich gegen die Juden richteten. Das Abhalten von Gottesdiensten wurde ihnen verboten, ihre Bewegungsfreiheit wurde beschränkt und ihre Besteuerung enorm erhöht. Die Juden wurden aus allen öffentlichen Ämtern entfernt; das Betreten öffentlicher Gebäude oder Anlagen war ihnen untersagt, jüdische Kinder durften die öffentlichen Schulen nicht mehr besuchen. Es gab sogar Gerüchte, wonach das Ghetto wieder eingerichtet werden sollte. Gleichzeitig mit diesen einschränkenden Maßnahmen eröffneten die Deutschen eine »Aufklärungskampagne« für die polnische Bevölkerung. Dieser propagandistische Feldzug unterstützte die bereits weitverbreitete Meinung, daß die Juden den Krieg verschuldet hätten. Die Deutschen erklärten, daß die Juden verantwortlich seien für die deutsche Invasion, deren Ziel es gewesen sei, Polen vor der »jüdisch-bolschewistischen« Gefahr zu schützen.
In Berlin suchten inzwischen die Nazi-Größen krampfhaft nach einer »Lösung des jüdischen Problems«. Die verschiedensten Vorschlage wurden ventiliert. Die alte Idee, sämtliche Juden nach Madagaskar zu bringen, kam erneut zur Sprache.
Zwar hätte man es vorgezogen, die Juden nach Palästina zu schicken, doch das war durch die britische Blockade unmöglich. SS-Obersturmbannführer Eichmann hatte schon lange »Umsiedlungsarbeit« unter den Juden geleistet. Er schien den NaziGrößen also der geeignete Mann zu sein, um die »Endlösung« der Judenfrage in die Hand zu nehmen.
Soviel war jedenfalls klar: solange man noch keine endgültige Lösung gefunden hatte, mußte man ein Programm der Massenaussiedlung der Juden in Angriff nehmen. Die meisten Nazis waren sich darin einig, daß Polen hierfür am besten geeignet sei. Denn erstens einmal gab es dort bereits dreieinhalb Millionen Juden, und zweitens würde man dort, im Gegensatz zu Westeuropa, auf nur geringen oder gar keinen öffentlichen Widerstand stoßen. Generalgouverneur Frank war dagegen, daß noch mehr Juden in Polen abgeladen werden sollten. Er hatte versucht, die polnischen Juden verhungern zu lassen, und er hatte so viele von ihnen erschossen oder erhängt, wie er nur konnte. Doch Frank wurde von den Planungschefs in Berlin überstimmt.
Die Deutschen überzogen Polen mit einem engmaschigen Netz, aus dem kein Jude entschlüpfen sollte. Einsatzgruppen drangen in Dörfer und kleinere Städte ein und trieben die jüdischen Bewohner zusammen. Sie wurden in Viehwaggons verladen und in die größeren Städte umgesiedelt, ohne daß sie von ihrer Habe etwas mitnehmen durften.
Einige Juden, die rechtzeitig von den Razzien erfahren hatten, flüchteten oder versuchten, mit Hilfe von Geld und Wertgegenständen bei christlichen Familien unterzutauchen. Doch nur wenige Polen riskierten es, Juden bei sich zu verstecken. Andere preßten aus den Juden den letzten Pfennig heraus, um sie dann gegen die von den Deutschen ausgesetzte Belohnung auszuliefern.
Sofort nach der Umsiedlung der Juden in die größeren Städte wurde eine Regierungsverordnung erlassen, die den Juden auferlegte, ein weißes Armband zu tragen, auf dem sich in genau vorgeschriebener Größe ein gelber Davidstern befinden mußte.
Der Winter in Warschau war nicht leicht für die Landaus. Der Tod von Mendel Landau, die zunehmenden Gerüchte vom Wiederaufleben des Ghettos, das Aussiedlungsprogramm der Deutschen und die Verknappung der Lebensmittel, das alles machte das Leben sehr schwierig.
Mitte Oktober 1940 klopfte es eines Morgens an der Wohnungstür. Draußen standen ein paar »Blaue« — polnische Polizisten, die mit den
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