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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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übernommen habe - ist das Radio: Da kann er stundenlang am Equalizer rumprokeln oder endlos den Sendersuchlauf abfahren; als Kind muss er echt pflegeleicht gewesen sein. Er schaue mal, ob es irgendwo »Classic Rock« gäbe, hat er vor einer halben Stunde gesagt; seitdem schraubt er. Eigentlich hören wir ja unterwegs nur Country Music, obwohl uns das zuhause im Leben nicht einfallen würde. Aber hier passt es irgendwie. Bei Country sind die Botschaften so angenehm einfach: Irgendein Dick, Jack oder Skip mit Stetson singt davon, dass ein fremder Pick-up in seiner Einfahrt parkt, während seine Dame allein zuhause ist. Oder freut sich einfach nur: »She thinks my tractor's sexy.« Ungefähr eine Stunde halten wir diese heile Welt aus, dann gehen uns das Gefiedel und die Achy-breakyhe art-Texte tierisch auf den Zeiger, und wir schalten auf einen Sender mit Classic Rock um - eine weitere Musikrichtung, die wir daheim niemals hören würden. Manchmal produziert Nick mit seinem Rumgeschalte aber auch einen dieser goldenen Momente, in denen alles passt. So wie jetzt. »Down the road in the rain and snow the man and his machine would go«, plärrt es auf Mittelwelle, und wir sind einfach nur glücklich. Unter der Haube unseres Opamobils taucht der endlose gelbe Mittelstreifen ab, um im Rückspiegel in der Nacht zu verschwinden; drei Stunden oder 180 Meilen reißen wir heute noch runter, das haben wir uns vorgenommen. Dann morgen und übermorgen noch mal den ganzen Tag hinterm Steuer, dann müssten wir da sein. 1000 Meilen Ödnis, nur um in einer Müllkippe rumzugraben - klingt nicht schwachsinniger als der übliche Schwachsinn.
     
    LEVEL 08
     
    Seit Jahren verbringen wir unsere Sommer mit solchen »Forschungsreisen «, wie Nick sie nennt. Es ist die perfekte Form des Reisens - ohne echtes Ziel. ohne wirkliche Erlebnisse, ohne Frauen. Angefangen hat das, glaube ich, an einer Donutbude im Mittelwesten, irgendwann, nachdem wir alle Nationalparks, Städte und 15 Jahre alten Historical Marker gesehen hatten. Auf dem Dach des Imbisses thronte damals ein riesiger Kringel aus Fiberglas, doppelt so hoch wie das eigentliche Haus, und wir überlegten uns, dass es eigentlich schade sei, wie selten man diese Sechzigerjahre-Deko heutzutage noch sieht. Da hatte Nick die geniale Idee, ab sofort nur noch überdimensionale Essens- Skulpturen zu suchen, und so haben wir es dann auch gemacht. Wir fuhren überall dahin, wo die Zeit stehen geblieben war, und fotografierten haushohe Hamburger, Coladosen. Milchshakes, Kühe, Schweine, Pizzas. Nach einem Frühstück in Martha's Café in Blackfoot/Idaho, dessen Parkplatz ein fünf Meter hohes Fiberglasabbild eben jener Martha ziert, erklärten wir die Suche für beendet und fuhren einfach so weiter rum. Im nächsten Jahr ging das gleiche Spiel mit Flugzeugfriedhöfen los, das Jahr darauf besuchten wir alles, was mit der NASA zu tun hat, später kamen ehemalige Atomtestgelände dran, und so weiter. Jetzt also Videospiel-Archäologie. Warum auch nicht? Unser Ziel, New Mexico, klingt verheißungsvoll, schließlich haben wir hier schon mal einen echten popkulturellen Jackpot geknackt: Roswell. In der Nähe dieses kleinen Städtchens ist ja 1947 bekanntlich ein außerirdisches UFO runtergekommen, samt Aliens an Bord. Auf dem Höhepunkt des Akte X-Hypes haben wir damals die Absturzstelle besucht - ein Ort, der sicher zu den eindrucksvollsten in Nordamerika zählt. Das war eine richtig konspirative Aktion: Wir mussten erst mal bei der Enkelin des Ranchers anrufen, auf dessen Land die Absturzstelle liegt, und wurden dann an einer Landstraße persönlich von der Dame in Empfang genommen und zum Allerheiligsten aller Alien-Forscher geführt: einem kleinen Hügel im Nirgendwo, der - so ehrlich muss man selbst als Gläubiger sein - aussah wie jeder andere Hügel im Südwesten. Dass hier mal etwas ganz Wichtiges passiert ist, erkannte man nur an einer kleinen amerikanischen Flagge, die jemand am geschätzten Aufschlagpunkt des Fluggeräts in den Wüstendreck gesteckt hatte. Sonst gab es hier absolut nichts zu sehen. Doch das scheint die Besucher nicht abzuhalten. Stolz berichtete uns die Rancherin, dass eine Woche zuvor Jonathan Frakes da gewesen sei, bekannt als Commander Riker aus der Serie »Star Trek - das nächste Jahrhundert«, um eine Dokumentation anzumoderieren. Im Angesicht des geballten Nichts bekamen wir einen Lachanfall und mussten schnell im Wagen verschwinden, damit die Dame nicht sehen konnte,

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