Extraleben
Richtung Mom wedelt, um einen Nachschlag zu bekommen. Damit ist es entschieden: Wir reisen weiter nach Westen, rückwärts in der Zeit - eine in jeder Hinsicht gute Richtung. Am Schluss muss Nick doch vor den Pancakes kapitulieren - der Berg war einfach zu hoch. Unsere Bedienung, sichtlich in ihrer Mom- Ehre bestätigt, quittiert seine Niederlage beim Abräumen mit der Bemerkung: »You did better than I thought!« Als wir rauskommen. hat der Tag schon angefangen. Ein paar Vögel zwitschern, und das Neonschild vor dem Café knistert entspannt vor sich hin: O, P,E, dann N - und wieder aus; in ein paar Minuten wird der Lichtsensor den Strom wohl abstellen. Bevor wir zum Parkplatz hinterm Haus einbiegen, drehe ich mich nochmal kurz um. Der Grasstreifen neben dem Highway ist leer, der Phantomwagen muss also weggefahren sein, während wir bezahlt haben. Ganz leise hängt noch das Summen eines Motors in der Luft. Ich schaue in die andere Richtung. Da! Die roten Lichtbalken am Heck der Limousine verschwinden gerade hinter der Hügelkuppe. Shit. Und es sitzen wirklich zwei Typen drin. Zwei! Niemand in Amerika fährt freiwillig zu zweit, niemand. Deshalb sind die Fahrspuren für Fahrgemeinschaften auf den Freeways in L.A. auch immer leer. Kein Mensch käme hier auf die Idee, jemanden mitzunehmen. Für einen Moment zieht sich etwas in meinem Bauch zusammen, wie auf der Achterbahn kurz vor der Schussfahrt. Ich drehe mich zu Nick um. »Alter?« »Hm.. Er hat sich an der Kasse einen Zahnstocher genommen und lässt das Hölzchen pseudocool aus dem Mundwinkel hängen. Ich schaue nochmal nach Westen. Der Wagen ist endgültig im hellgrauen Rest der Nacht verschwunden. »Ach nichts«, sage ich und drücke auf die Fernbedienung der Zentralverriegelung.
LEVEL 12
Das gestern Abend in den Nachrichten angekündigte Tiefdruckgebiet hat uns eingeholt und einen Schleier aus Nieselregen über das Land gelegt - was nicht wirklich stört. Denn mit jeder Meile, die wir nach Westen fahren, nähert sich das Panorama mehr und mehr einem Sportplatz an. Die letzten Büsche und Sträucher verschwinden, bis nichts übrig bleibt als eine Mondlandschaft aus rotem Sand. Sie erinnert ein bisschen an das Monument Valley, früher die Kulisse jeder zweiten Zigarettenreklame. Es ist eine öde, abweisende Wildnis, in der man anscheinend nicht einmal mehr Kühe grasen lassen kann; gleichzeitig ist das Land aber nicht wild genug, um Touristen anzulocken. Es wirkt leer, nutzlos, feindlich. Das kann nur eines bedeuten: Wir nähern uns einem Indianer-Reservat. Und tatsächlich: Nach zehn Minuten passieren wir ein Schild, das verkündet, hier beginne die Selbstverwaltungszone des Soundso-Stammes. An der Straßenqualität ändert sich nichts, weil der Asphalt wohl weiter vom amerikanischen Staat bezahlt wird. Davon abgesehen aber verwahrlost sofort alles: Statt adretter Holzhäuschen säumen jetzt die billigen Wohnwagenhäuser den Highway, vor denen jeweils zwei Autowracks parken, so, als sei das Vorschrift. Der Soundso-Stamm gehört offenbar nicht zu jenen Indianern, die sich in den Neunzigern mit Casino-Lizenzen eine goldene Nase verdient haben. Jedenfalls besteht das nächste Kaff nur aus einer Tankstelle, einem halben Dutzend staatlich geförderter Holzhäuser und einem Karton, der mitten auf dem High- way steht, um in handgeschriebenen Lettern den Weg zu einem YARD SALE zu weisen. Wir lassen den Flohmarkt links liegen und halten stattdessen einige Meter weiter vor einer Blechhütte an, an die jemand »Video-Games« gesprüht hat. Mittlerweile schüttet es richtig, sodass wir die paar Meter bis zum Eingang rennen, um nicht nass zu werden. Im Innern des Verschlags steht noch die Hitze der vergangenen Tage; es riecht nach Desinfektionsmittel, Rauch und feuchtem Boden. Nach Spielhalle sieht das Ganze nicht aus, eher wie ein Lager für alte Arcade-Automaten. Da es keinen Angestellten zum Geldwechseln zu geben scheint, renne ich noch mal zum Auto zurück und sammle ein paar Quarter, die sich während der Fahrt auf dem Boden verteilt haben. Als ich wieder in die Neonhölle der Zockhalle zurückkomme, ist Nick schon ausgeschwärmt. »Geil, Alter, 1942 , stürzt leider alle paar Minuten ab.« Ich entdecke einen Super Mario Brothers und spiele, bis das Flimmern des kaputten Monitors zu sehr nervt. Wie üblich reicht unsere Retro-Energie nur ungefähr 20 Minuten, dann schlendern wir auf der Suche nach neueren Games durch die Gänge - immer mit einem schlechten
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