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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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knappen Worten fasse ich zusammen, was ich mir selbst gerade angelesen habe, versuche dabei aber zu klingen, als hätte ich alle Details im Kopf, wie Nick halt. Wir schreiben das Jahr 1972: In München findet die Olympiade statt, Willy Brandt ist Bundeskanzler, Baader und Meinhof werden verhaftet. Unbeeindruckt von der prekären Weltlage schraubt ein Ingenieur in den USA zu dieser Zeit an einem alten Schwarz-weiß-Fernseher herum. Er hat die Röhre mit einem Haufen Transistoren verbunden, zu einem Gerät, das später Telespiel genannt werden wird. Anders als die Zukunftsprodukte der Fünfzigerjahre sieht dieses nicht stromlinienförmig oder elegant aus. Die Apparatur besteht aus einem Kabelwirrwarr und steckt in einer schmucklosen Holzkiste. Der Sinn dieses neuen Typs von Unterhaltungsgerät ist ganz einfach: Ein Spieler steuert einen weißen Balken auf dem Bildschirm rauf und runter, an dem ein weißes Kästchen abprallt und gegen eine - richtig - weiße Wand springt. Wer den zurückspringenden Ball durchlässt, hat verloren. Natürlich tüftelt der Ingenieur nicht nur aus Spaß. Ein Mann hat ihn beauftragt, das Gerät zu bauen. Sein Name ist Nolan Bushnell, und er führt eine Firma namens Atari, die damals genau einen Mitarbeiter zählt, nämlich Bushnell selbst. Der Geschäftsmann wiederum hat die Idee zu diesem neuartigen Spielautomaten zwar auch nur woanders geklaut, ist aber fest entschlossen, auch damit Geld zu verdienen. Als er das erste Mal den flimmernden Ball auf dem Bildschirm sah, dachte er spontan an Pingpong - und schon ist der Name für sein Kind gefunden: Pong . Wie würden die Menschen auf das Gerät reagieren? Bushnell, ein Vollblut-Geschäftsmann, ist klug genug, zuerst Marktforschung anzustellen, bevor er sein gesamtes Vermögen von 500 Dollar in die neue Technologie steckt. Deshalb beschließt er, den Prototypen zu testen, und zwar in einer Kneipe um die Ecke von seinem Büro: Andy Capp's Tavern. Der Laden ist nicht gerade die beste Adresse am Ort, eher ein Auffangbecken für alle, die im Sonnenstaat Kalifornien noch nicht ihr Glück gefunden haben. Durch die dunkle Kneipe zieht immer ein schaler Bierhauch, der Boden ist mit Erdnussschalen übersät, und mit der gleichen Nachlässigkeit wird auch das neue Hightech-Gerät behandelt. Der Besitzer stellt es einfach auf ein altes Weinfass in der Ecke. Dann passiert lange Zeit erstmal nichts. Bushnell beginnt sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass auch dieses Videospiel wie sein Erstling Computer Space ein Reinfall wird. Nach zwei Wochen schließlich, als der Atari-Boss schon gar nicht mehr damit rechnet, meldet sich der Wirt vom Andy Capp's und berichtet, dass schon morgens früh, wenn er den Laden aufschließt, die ersten Kunden anstünden - und zwar nicht für einen Frühschoppen, sondern um an diesem neuen Automaten zu spielen. Allerdings sei mit dem Gerät irgendetwas nicht in Ordnung, so der Wirt, vielleicht müsse nur mal die Geldkassette geleert werden. Der Vorschlag kommt keinen Tag zu spät, denn als der Erbauer des Kastens bei Andy Capp's Tavern ankommt, wartet eine Überraschung auf ihn: Der provisorische Weidenkorb unter dem Einwurfschlitz ist so voll, dass sich die Münzen schon im gesamten Gehäuse verteilt haben. Bushnell, der das Spiel eigentlich an einen Flipperhersteller verkaufen will, stoppt alle Verhandlungen und entscheidet sich, Pong selbst zu vermarkten. Eine Entscheidung, die ihn binnen weniger Jahre zum Multimillionär machen wird. Bis heute gilt Andy Capp's als Geburtsort der interaktiven Unterhaltung. »Da fiel der erste Quarter ! Mensch, der erste Quarter!« Nick scheint meine Deutung der Dinge nicht wirklich vom Hocker zu reißen. Sichtlich geschafft kaut er am letzten Drittel seines Mount Pancake und lässt vernehmen. »Klar könnte das gemeint sein, aber so richtig hart ist es nicht, das musst du zugeben.« Da hat er nicht Unrecht. Ich checke im Netz noch kurz ein paar Details. »Ist eine Adresse in Sunnyvale, da kommen wir doch eh vorbei «, schlage ich diplomatisch vor. Unser Rückflug geht ab Los Angeles, und die paar Meilen bis ins Silicon Valley fahren wir vorm Frühstück - selbst wenn wir vorher noch einen ausgiebigen Schlenker durch Nevada und Oregon machen. Mehr Energie stecke ich nicht in meine Überredung, da mein Beifahrer ohnehin zustimmen wird, allein schon, um nicht selbst eine Alternative vorschlagen oder etwas entscheiden zu müssen. »Hm, okay«, murmelt Nick, während er mit seiner Kaffeetasse

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