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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Innenstadt noch Stunden sind. Vor lauter Vorfreude trägt er heute sogar im Auto seine alte Ray-Ban- Sonnenbrille, und ich könnte mir einbilden, dass er vom Draußen rumsitzen gestern sogar ein bisschen kalifornischen Teint bekommen hat. Als dann die erste Hiphop- Bass- Drum durch den Äther dröhnt, dreht er sich stolz grinsend zu mir um und verkündet: »Das ist L.A., Alter!« »Jap, L.A.«,sage ich und nehme mir vor, ab sofort nicht mehr nachzudenken. Wir stellen fest, dass die Rapper nur ein bisschen versöhnlicher klingen als seinerzeit Ice Cube, sich sonst aber musikalisch seit '94 wenig getan hat; der R'n'B steckt immer noch in der I-wanna-shake-your-booty-cutie-Spirale vom letzten Jahr, Schon nach drei Songs wirkt die Westküste. Mit jeder Meile, die wir uns der Stadt nähern, macht sich eine angenehme Leichtigkeit breit. Alles, was uns in Sunnyvale noch so angeekelt hatte, kommentieren wir jetzt mit einem augenzwinkernden »L.A. halt« und freuen uns drüber. Der erste Wagen mit personalisiertem Kennzeichen überholt. Ein Mercedes-Cabrio mit BNZBNNYauf dem Nummernschild, was wohl die Abkürzung für »Benz-Bunny« sein soll. »Bei uns müsste davor KLA stehen, für Kreis Los Angeles. Genau deshalb funktioniert das mit den Nummernschildern in Deutschland nicht; es fehlt einfach das Flair«, stelle ich fest. Nick senkt den Kopf nach vorne, wobei nicht ganz klar ist, ob er mir zustimmt oder einfach nur zur Musik mitwippt. Wenig später folgt der erste tuntige Motorradpolizist von der California Highway Patrol - Namensgeber der supercheesigen Achtziger- Serie C.H.I.P.S. -, und auf dem Mittelstreifen machen sich die Hibisken breit. L.A. kündet sich wie immer durch eine braune Dunstglocke an, die wie eine dreckige Scheibe über der Stadt liegt. Spätestens im Porn Valley, Zentrum der nordamerikanischen Erwachsenenunterhaltung, taucht man in die Brühe ein und merkt nichts mehr davon, genau wie bei einer Sonnenbrille. die nur leicht getönt ist und einem nach einiger Zeit wie Fensterglas vorkommt. Wir passieren das Hauptquartier von Vivid Video und röcheln ein paar Mal wie Beavis und Butthead. Mehr und mehr habe ich das Gefühl, nach einem langen Nachtflug aufzuwachen und das erste Tageslicht zu sehen. Worum noch vor Minuten die Gedanken rastlos kreisten, erscheint auf einmal schal, ja kindisch: Farmhäuser mit Mikrowellen- Selbstschussanlagen, Schattenmänner in grauen Ford-Limousinen, eine alles überwachende Geheimorganisation - was zum Teufel ging nur in uns vor? Vielleicht kriegen wir jetzt echt so eine Quarterlife-Crisis, von denen Menschen in unserem Alter ja angeblich heimgesucht werden. Wenn das stimmt, sollten wir unser Verlangen nach Abenteuer künftig altersgerecht ausleben - so, wie es die Männermagazine immer vorschlagen: »Sex mit Models«, »Das härteste Autorennen der Welt«, »Survival auf Legionärsart«. Es hat lange gedauert, aber ich denke, die Straße hat uns doch noch weise gemacht. Die restlichen Meilen sind reine Durchführung. Runter auf den 101, dann durch Beverly Hills, Bel Air und Pacific Palisades bis zum Meer, so sieht die Route aus. The same procedure as every year. Schön zu sehen, dass sich nichts geändert hat: Auf dem Fußballplatz der Uni von Los Angeles drehen sich die Rasensprenger im Sonnenschein; die Hollywood-Anwälte kauern in ihren geschlossenen Porsche-Cabrios und kriechen auf dem Santa Monica Boulevard von Ampel zu Ampel. Dazwischen führen Bel-Air-Queens um die siebzig mit Sonnenhut ihre alten 500 SL aus - das Modell, bei dem nachträglich Doppelscheinwerfer eingebaut werden mussten, weil die deutschen Lichter nicht der US-Vorschrift entsprachen. Selige vorglobale Zeiten. Richard Gere fuhr so einen in »American Gigolo«, glaube ich. Nur noch ein paar Apartmentblocks, schließlich ist der Blick auf den Pazifik frei: Graublau und träge liegt das Meer an diesem späten Nachmittag da, nur am Strand kräuseln sich ein paar kleine Wellen. Wir rollen die sechsspurige Küstenstrasse so langsam runter, wie es die genervten Feierabendpendler hinter uns erlauben, und atmen tief die Salzluft ein. Auf der Standspur zwängen sich die ersten Büromenschen in ihre Neoprenanzüge. Bis vor ein paar Minuten hockten sie noch in irgendeiner Firmenzentrale, jetzt stürmen sie wie kleine Jungs mit ihren langen Surfbrettern auf den Strand zu. L.A., du hast es besser. Der Pacific Coast Highway, von Angebern jeder Art auch PCH abgekürzt, muss das Vorbild für Out Run gewesen sein,

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