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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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süßen Wacka-wacka-Pac-Man-Gedöns.« »Aber andere Games galten doch vorher schon als hart, Berzerk zum Beispiel. Apropos: Manche meinen ja, die Goldene Ära sei am 3- April 1982 zu Ende gewesen, als Peter Burkowski starb.« Mein Begleiter schaut mich fragend an, anscheinend kennt er diese Story noch nicht, was mich dazu anstachelt, wirklich alle Details einzubauen, an die ich mich erinnern kann. »Der Typ war in Illinois in eine Spielhalle reinmarschiert, hatte eine Viertelstunde lang Berzerk gezockt, zwei Highscores gebrochen und war dann auf der Stelle tot umgefallen. Herzkaspar, einfach so, mit gerade mal 18. Viele meinten damals, an diesem Tag hätten Telespiele ihre Unschuld verloren.« Jetzt scheint Nick die Info auch in seinem Speicher gefunden zu haben, denn er fährt mir energisch in die Parade. »Augenblick, Augenblick, der hatte doch eh einen Herzfehler. Außerdem gab's vorher - glaube ich - auch schon einen Toten; das Ganze ist also eine klassische Medienstory. Heute stirbt doch fast wöchentlich irgendein Irrer in Südkorea, weil er drei Tage am Stück vor Starcraft gehockt hat. Ich glaube nicht, dass solche Dinge irgendeine Bedeutung haben.« Damit liegt Nick ganz und gar nicht auf meiner Wellenlinie. Und weil er das genau weiß, lässt er keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass er die Geschichte für eine wirre Aneinanderreihung von Zufällen hält, die allenfalls von einer großen FBI-Megaverschwörung zusammengehalten wird. Ich dagegen glaube fest an historische Wendepunkte, an denen viele Dinge, die eine Periode ausmachen, gleichzeitig eine neue Richtung bekommen. Musik, Filme, Spiele. Solche Kreuzungen erkennt man natürlich erst im Rückspiegel, aber dann umso deutlicher. »Ich denke, der Umschwung kam 1986; das würde ja auch zu deiner Double Dragon-Theorie passen. Challenger, Tschernobyl, Sandoz ...« »... nicht zu vergessen The Final Countdown von Europe«, grinst Nick. Unwillkürlich muss ich lachen. »Alter, du nimmst mich einfach nicht ernst. Aber 1986 war einfach Schluss mit lustig, schau dir mal die Videogames vor- und nachher an: Ein Jahr vorher kam noch ein Harmlos- Titel wie Ghost'n'Goblins raus - und danach ein Hammer wie N.A.R.C., wo der Held durch eine urbane Wüste voller Junkies, Dealer und Killer läuft, die ihn mit gebrauchten Spritzen bewerfen.« Nick scheint noch nicht ganz überzeugt zu sein. »Stimmt schon, das war natürlich ein echter Kontrast zu dem entspannten Gameplay von Missile Command, wo im Sekundentakt die russischen Interkontinentalraketen auf dich runterregneten.« Touché. Schätze, mein Versuch, 1986 zum Brennpunkt der jüngeren Geschichte hochzustilisieren, war wohl geleitet von einschneidenden persönlichen Erfahrungen in diesem Jahr. Immerhin hat Nick langsam seine Sprache wieder gefunden, und nach einigen Schnorchelzügen aus seinem Frappuccino unterbreitet er seine eigene Theorie der Dinge: »Wenn du unbedingt den Zeitgeist da mit rein ziehen willst, halte ich Tetris für die bessere Wahl ...« »...was ja auch 1986 rausgekommen ist.« »Ja, aber nur für den damals noch elitären IBM-PC. Alle anderen Ports erschienen später, kurz vor der Wende. Wir reden also von einem Spiel, das ein russischer Ingenieur, Alexey Pajitnov, erfunden hat, und das kurz nach dem Fall der Mauer ...« »... die bekannterweise hauptsächlich aus den länglichen I-Stangen und O-Blöcken bestand ...«. bringe ich ihn aus dem Konzept. Nick lacht. Ich versuche, ihn wieder auf die Schiene zu setzen: »Was du sagen willst, ist, dass Tetris den Kommunismus zum Einsturz gebracht hat?« »So ungefähr.« Klingt plausibel. »Auf Tetris als Ende der Goldenen Ära können wir uns einigen«, fasse ich zusammen. »Das haben zum ersten Mal ganz andere Leute gezockt. Bis dahin waren Spiele ja Kinderkram. Für die Eltern waren Games reines Teufelszeug, das obendrein eine Sehnenscheidenentzündung hervorrief. Tetris hat diese Grenze niedergerissen, weil ab da einfach jeder gespielt hat. Ich weiß noch, als ich meinem Dad Weihnachten' 90 einen Gameboy geschenkt habe - danach hat er praktisch die gesamten Feiertage durchgezockt. Meine Mutter meinte noch, ich solle ihm nie wieder so etwas schenken.« Gerade als Nick etwas sagen will, klingelt sein Telefon. Hektisch zupft er es aus der Brusttasche seiner Jacke und rennt zum Starbucks rein. Nach seinem hocherfreuten »Hi! « zu urteilen, scheint es keinen Todesfall zu geben.
     
    LEVEL 23
     
    Nach dem Reinfall mit Pak-Mann von gestern haben wir

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