Extraleben
freiwilligen Feuerwehr, denen man in der Mainacht ihre Bierkästen geklaut hat. Auch heute verfehlt Road Riot seine Wirkung nicht, und wir verlassen nach zehn Rennrunden vorsichtshalber erst mal die Spielhalle. um uns an einer Strandbude eine kalte Limo zu holen. Bis jetzt sieht alles nach dem perfekten L.A.-Tag aus: Die Morgensonne steigt träge den Horizont hoch und lässt die kleinen Wellen am Strand wie Lametta glitzern. Langsam verdunstet der Tau im klammen Sand unter unseren Füßen. Die Luft ist so klar, dass man sich einbildet, an den startenden Flugzeugen in Lang Beach noch die Logos der Airlines erkennen zu können. Alles riecht frisch, unverbraucht. Heute ist Donnerstag, und das bedeutet, die Angelinos können ihren Strand noch einen Tag in Ruhe genießen, bevor die Touristenhorden am Wochenende einfallen. Sie nutzen die verbleibende Zeit dafür, sich so klischeemäßig zu verhalten, als hätte der Regisseur gerade erst »Action!« gerufen: Schulmädchen in Neoprenanzügen üben auf dem Trockenen, ihre Surfbretter zu besteigen, und fallen quietschend in den Sand. Zwei Rentner mit exakt identischen Sonnenaufsätzen auf ihren Brillen walken durch die Wellen, vorbei an in die Jahren gekommenen Trophäen- Ehefrauen, die unbeweglich im Lotossitz ausharren und wie Eidechsen die Wärme aufsaugen. Die einzigen Fremdkörper sind Nick und ich, wie wir käseweiß und an unseren Limos nuckelnd den Strand langmarschieren. Nach einer halben Meile haben sich unsere Gaumen von der Attacke durch neun Beutelehen Sweet &Low-Süßstoff erholt, und die Road Riot-Wut ist so weit verflogen, dass wir das Gespräch mit unserem zweitliebsten Thema wieder aufnehmen können - dem Speiseplan für heute. Nach einigem Hin und Her einigen wir uns auf einen Thailänder am Sunset und setzen zufrieden unseren Marsch entlang der scheinbar endlosen Reihe von Bademeisterhäuschen fort. Essen ist doch der Sex des Alters. »Und danach Mulholland Drive?«, hakt Nick zögerlich nach. Wow, es sieht fast danach aus, als sei mein Beifahrer ausnahmsweise gewillt, diesem letzten Abend etwas Glanz zu verleihen. »Bin dabei.«
LEVEL 24
No helicopter looking for the murder, today was a good day. Tatsächlich scheint die Polizei von Los Angeles heute Abend nicht viel zu tun zu haben. Weit und breit ist kein Hubschrauber zu sehen, der mit seinem Suchscheinwerfer einen Flüchtigen in den Straßenschluchten festnagelt; keine Polizeisirene stört die Stille, und nur das Summen der Straßenlaternen erinnert einen daran, dass man nicht auf dem Dorf ist. Mit »It was a good day« von Ice Cube ist es genau wie mit »Driving home for Christmas« von Chris Rea - der Song läuft niemals im Radio, wenn man ihn am liebsten hören würde. Dabei würde er heute wirklich passen, denn es war ein verdammt guter Tag. Vor uns breitet sich der endlose Lichterteppich von Los Angeles aus. Volle hundert Meilen sind es von hier bis zur südlichen Stadtgrenze - unfassbar. Einhundert Meilen, fast so weit wie von Köln nach Frankfurt, nur Häuser, Freeways und Fabriken. Die orangefarbenen Adern der großen Boulevards schlängeln sich quer durch die Stadt und verlieren sich irgendwo am dunklen Horizont. Privatjets tanzen wie Glühwürmchen durch die Nacht. Im Westen hackt der schwarze Balken des Pazifik das Panorama ab, im Süden erheben sich die Bürotürme der Innenstadt. Mit ihren leuchtenden Fassaden sehen die Hochhäuser genauso aus, wie der damals so beliebte Cyberspace immer in den Filmen der Neunziger dargestellt wurde: ein Labyrinth aus Licht, Glasfasern oder Schaltkreisen. Man will über die Hügelkuppe springen und in den unvermeidlichen computergenerierten Kameraflug eintauchen. Heute Abend zeigt der Moloch seine friedliche Seite. Vielleicht ist es einfach noch nicht heiß genug. Angeblich gibt es ab 36 Grad Tagestemperatur in Los Angeles ja mehr Morde, weil die Leute bei Hitze öfter ausrasten. Doch heute nicht. It was a good day. Unten im Tal ist der Mulholland Drive eine langweilige Durchgangsstraße. Doch je höher man in die Hollywood Hills kommt, desto, na ja, Hollywood-artiger wird er. Steil und kurvig quält sich die Straße den Hügel hinauf, vorbei an verglasten Bungalows, bei denen man ständig den Verdacht hat, sie schon mal als Kulisse in einem Porno gesehen zu haben, was wahrscheinlich auch stimmt. Es sind diese typischen Junggesellen-Paradiese, in denen Typen wie Sonny Crockett wohnen; mit Raumteilern im Memphis-Design, Eames Lounge Chair vor dem
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